13. Juli 2002. In dem 500-Seelen-Örtchen Potzlow in der brandenburgischen Uckermark gehen die Brüder Marco und Marcel zusammen mit ihrem Freund Sebastian auf Sauftour. Marinus Schöberl, ein gemeinsamer Bekannter, schließt sich ihnen an. Die jungen Männer beginnen Marinus, der keinen Alkohol verträgt und sich kaum wehrt, zu misshandeln. Mit Fußtritten und Faustschlägen schlagen die Täter auf ihn ein und zwingen Marinus, in die Kante eines Schweinetrogs zu beißen. Schließlich exekutiert Marcel sein Opfer nach dem Vorbild des „Bordsteinkicks“ aus dem Film
American History X durch mehrere Sprünge auf den Hinterkopf. Anschließend „entsorgen“ sie den Toten in einer nahe gelegenen Jauchegrube. Als der Leichnam von Marinus vier Monate später gefunden wird, entwickelt sich der spektakuläre Fall auf Anhieb zur Mediensensation.
Zwei Jahre später suchen der Dokumentarfilmer Andres Veiel und die Theaterdramaturgin Gesine Schmidt den Ort des Verbrechens auf, um die unbegreifliche Tat zu hinterfragen. Aus Rechercheergebnissen und Gesprächsaufzeichnungen montieren Veiel und Schmidt eine Collage, die als Theaterstück in Berlin uraufgeführt wurde. Dort entstand auch
Der Kick als filmische Dokumentation dieser Inszenierung. Das Zwei-Personen-Stück spielt auf einer kargen Theaterbühne, die lediglich mit einem Blechcontainer ausgestattet ist. In nüchternes Schwarz gekleidet, verkörpern Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch differenziert und glaubhaft zwanzig verschiedene Personen. Im steten Wechsel von Totalen und Nahaufnahmen rückt Veiel die Gesichter und Körper der Spielenden heran, die durch Stimme, Mimik und Körpersprache den Tätern und ihren Familien, den Dorfbewohnern/innen oder den Angehörigen des Opfers Gestalt verleihen. Die Montage kontrastiert unterschiedliche Perspektiven und Lebensgeschichten, entlarvt innere Widersprüche, vermeidet Schockeffekte. Entstanden ist das beklemmende Protokoll einer Spurensuche, deren eindringliche Bilder und mögliche Erklärungsmuster sich erst in den Köpfen der Zuschauenden zusammenfügen.
Autor/in: Ula Brunner, 18.10.2006