Attilio de Giovanni ist Schriftsteller und Dozent für Dichtkunst und Poetik in Rom. Seine Studenten/innen mögen den hypermotorischen und unkonventionellen Lehrer, der in ihnen die Liebe zum Wort weckt. Die Liebe bringt ihn auch dazu, die schöne Vittoria auf Schritt und Tritt zu verfolgen, was diese jedoch als lästig empfindet. Selbst der Erfolg seines Gedichtbands "Der Tiger und der Schnee" ändert daran nichts. Sie verspricht ihm jedoch, sollte sie jemals einen Tiger im Schnee in Rom sehen, dies als Wink des Schicksals zu betrachten. Eines Tages erfährt Attilio durch seinen irakischen Freund und Dichterkollegen Fuad, dass Vittoria im umkämpften Bagdad nach einem Bombenattentat im Koma liegt. Getarnt als Arzt für das Rote Kreuz schmuggelt sich der verliebte Mann in den Irak des Jahres 2003. Unter Lebensgefahr organisierter er die kaum aufzutreibenden medizinischen Hilfsmittel, kämpft gegen alle Widerstände und rettet so Vittoria. Als diese endlich die Augen öffnet, ist Attilio bereits in einem Lager interniert. Nach Rom zurückgekehrt, verschweigt der Heimkehrer der Genesenden das Bagdad-Abenteuer.
Zwischen Tragik und Komik erzählt Roberto Benigni eine herzzerreißende Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Irakkriegs. Der Krieg bildet jedoch nur die Folie für diese Lovestory und Ode an die Menschlichkeit. Das apokalyptische Szenario in Bagdad hat mit dem dort herrschenden Alltag wenig zu tun. Selten flackert ein Schein von Realität auf, mal beim Blick auf die Improvisations- und Überlebenskunst der Menschen, auf den maroden Zustand des Krankenhauses oder auf die Hypernervosität der US-Soldaten, die die Situation nicht im Griff haben. Nur einmal, wenn sich Fuad aus Verzweiflung das Leben nimmt, sind die Verwüstungen der Seele, die mit der Verwüstung der Stadt einhergehen zu erahnen. Zwar erreicht Benigni nicht die Intensität von
Das Leben ist schön, aber auch hier verleiht die subversive Kraft der Liebe dem Protagonisten Flügel. Der Regisseur bricht immer wieder die narrative Struktur auf, mischt Gegenwart und Zukunft, Fantasie und Wirklichkeit, mogelt ein bisschen Commedia dell’Arte in die Mixtur. Zwar fehlen logische Stränge oder Plausibilität, dafür dominieren Paradoxie und Absurdität. Hinter der Skurrilität der Hauptfigur versteckt sich Sensibilität, auch wenn der Grat zur Albernheit manchmal schmal ist. So konfrontiert der Film immer wieder den Mut der Verzweiflung mit der inneren Trauer über die Unfähigkeit zum Frieden.
Der Tiger und der Schnee verteidigt das Prinzip Hoffnung und lässt dabei ein kleines Wunder geschehen: Mitten im Verkehrsgewühl von Rom taucht vor Vittorias Auto ein aus dem Zoo ausgebrochener Tiger auf, umweht von weißen Pollen, die an leise rieselnden Schnee erinnern.
Autor/in: Margret Köhler, 23.10.2006