Nach dem Tod der 98-jährigen Gerda Tuchler in Tel Aviv versuchen ihre Tochter und deren Sohn, der Filmemacher Arnon Goldfinger, die Habseligkeiten der Verstorbenen zu veräußern. Im Nachlass stößt Goldfinger auf einen Zeitungsartikel, der ihn stutzig macht. Scheinbar pflegten seine Großeltern, die in den 1930er-Jahren aus Deutschland ausgewandert waren, selbst nach dem Krieg noch freundschaftliche Beziehungen zu dem SS-Funktionär Baron Leopold von Mildenstein. Im Zuge seiner Nachforschungen stößt Goldfinger auf eine Vergangenheit, die seine Familie über all die Jahre erfolgreich verdrängt hat.
Ursprünglich hatte Arnon Goldfinger nur eine kurze Dokumentation über die Wohnung seiner verstorbenen Großmutter geplant, mit der ihn besondere Kindheitserinnerungen verbinden. Aus diesem Vorhaben entwickelt sich bald ein Detektivfilm, welcher der Geschichte der eigenen Familie nachspürt. Bei seinem Versuch, die Beziehung seiner jüdischen Großeltern zu den nationalsozialistischen Von Mildensteins zu verstehen, stößt Goldfinger auf eine Mauer des Schweigens. Die Tochter Von Mildensteins erinnert sich noch sehr gut an die Tuchlers, weiß jedoch nichts von der NS-Vergangenheit des Vaters. Goldfingers Mutter wiederum hat nie das Schicksal ihrer eigenen Großmutter hinterfragt, die im Konzentrationslager ums Leben kam. Humorvoll, sensibel und kritisch fördert Goldfinger Erinnerungsfragmente zutage, die davon zeugen, dass auch drei Generationen nach dem Holocaust die Aufarbeitung der eigenen Geschichte noch immer nicht abgeschlossen ist.
Die Wohnung behandelt auf sehr persönliche Weise die Themen kulturelle Identität und Zugehörigkeit sowie den Umgang mit der Erinnerung. Zentral ist hier eine Frage, die auch in den Recherchen des Regisseurs immer wieder anklingt: Warum haben seine Großeltern, obwohl sie aus Deutschland fliehen mussten, die enge Freundschaft mit dem nationalsozialistischen Ehepaar weitergeführt? Ein weiterer Diskussionsansatz ist die Frage, wieso es der nachfolgenden Generation von Holocaust-Überlebenden so schwer fällt, mit den Eltern über deren Erfahrungen während des Nationalsozialismus zu sprechen. Aus einem eher aktuellen Blickwinkel kann man im Unterricht zudem erörtern, ob und inwiefern ein Film wie
Die Wohnung durch seinen persönlichen Zugang zur deutsch-israelischen Verständigung unter Jugendlichen beitragen kann.
Autor/in: Andreas Busche, 11.06.2012
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