Erstes Genre; Sportfilm: Bilder im dokumentarischen Schwarzweiss (auch wenn sie aus Modernitätsgründen eher blaustichig sind). Vertraute Kameraeinstellungen aus der Froschperspektive auf die Ringseile einer Boxarena. Die Gegner werden vorgestellt. Einer davon ist Rubin Carter, ein Schwarzer. Die Kamera springt in den Ring. Schnelle Schnitte von hagelnden Schlägen. Im Gegenlicht spritzt Schweiß. Carter schlägt seinen Gegner k.o. – Zweites Genre; Kriminalfilm: Ein Überfall auf eine Bar. Menschen werden erschossen. Die Kamera zeigt die Täter nicht. Dann werden zwei Männer im Auto festgenommen. Einer davon ist Rubin Carter. – Drittes Genre; Zuchthausfilm: Es herrscht die bekannte Revoltenstimmung in den Gittergängen amerikanischer Gefängnisarchitektur. Die Kamera fährt schnell durch diese Gänge; die Schnitte bleiben dynamisch. Vor allem ein Mann rebelliert in seiner Zelle. Es ist Rubin Carter. Er hat Angst davor, dass bei einer geplanten Durchsuchung das Manuskript seines Buches beschlagnahmt würde. Der weiße Oberaufseher hilft ihm. Das Buch, Carters Autobiografie, kann vollendet werden und erscheinen. Es hat den Titel "The Sixteenth Round" und ist eine der beiden Vorlagen für diesen Film. – Viertes Genre; Black Cinema, das Kino der amerikanischen Schwarzen: Auf einem Bücher-Flohmarkt entdeckt Lesra, ein junger Schwarzer, um den sich eine weiße kanadische Menschenrechtsgruppe kümmert, "The Sixteenth Round". Die Lektüre des Buches begeistert ihn. Er nimmt Kontakt zu Rubin Carter auf. Der Montage-Rhythmus wird ruhiger, epischer. In Rückblenden erfährt man vom familiären und sozialen Fundament der farbigen Protagonisten. – Fünftes Genre; Investigation Movie, wie man Filme über Ermittlungsarbeiten in einem Kriminalfall nennt: Die kanadische Menschenrechtsgruppe nimmt sich der Sache von Rubin Carter an, der unschuldig im Gefängnis sitzt. Ein Dreier-Team recherchiert nach Indizien, um den Fall vor dem Bundesgericht noch einmal aufzurollen. Zeugen verweigern sich, andere reden. Es gibt Drohungen gegen die Ermittler. Die Muster der Gattung werden eingehalten. – Sechstes Genre; Gerichtsdrama: Carters Fall steht erneut vor den Schranken des Gerichts. Die Kamera schaut besorgt auf zum Vorsitzenden (wunderbar souverän gespielt von Rod Steiger). Einstellung auf die feindliche Staatsanwaltschaft, Einstellung auf die freundliche Anwaltsbank, Einstellung auf die aufgeregten Zuhörer. Alles ist klassisch inszeniert. Am Ende kommt die Treppe vor dem Gerichtsgebäude ins Bild. Rubin Carter schreitet sie hinab in die Freiheit. Kameraschwenk zum Himmel. Kameraeinstellung auf die amerikanische Fahne. Kameraeinstellung auf die Skulptur der Justitia. Hollywood schafft wieder ein Happy End der Gerechtigkeit. – Siebtes Genre; Biopic, wie der Cineasten-Jargon einen biografischen Film bezeichnet: Dieses Happy End wurde ausnahmsweise von Hollywood nicht erfunden. Für den Boxer Rubin Carter mit dem Kampfnamen 'Hurricane' ist es authentisch eingetreten. 1966 war er wegen dreifachen Mordes angeklagt worden. Indizien und Zeugenaussagen wurden aus rassistischen Vorurteilen manipuliert. 19 Jahre war er schuldlos eingesperrt. Muhammad Ali setzte sich für ihn ein. Bob Dylan sang die "Story of the Hurricane". Doch erst die Kanadier konnten das Netz der Intrigen aufschneiden. Heute setzt sich Rubin Carter für rassistisch Verfolgte ein.
Es ist ein Genre-Mix geworden und die Erwartungen, die das Publikum in die einzelnen Gattungen setzen darf, hat Jewison ohne Brüche erfüllt. Insofern ist
Hurricane ein konventioneller Film – im zweiten Teil mit dem Schwerpunkt auf Investigation Movie und Gerichtsdrama sogar allzu konventionell. So verzichtet er nicht auf die Personifizierung des rassistisch Bösen in Gestalt eines Polizisten als Gegenspieler zur Identifikationsfigur. Dieser Polizist ist fiktiv, ein reiner Kino-Topos, Wut-Objekt für ein von den Produzenten als schlicht eingeschätztes Publikum. Und der Schluss mit der penetrant amerikanischen Symbolik und dem Himmelsblick der Kamera – gemäß dem Motto der Dollarnote "In God we trust" – ist sogar dazu angetan, die zuvor aufgewühlte Empörung über die weiterhin latente rassistische Ungerechtigkeit viel zu platt in positives Pathos umzumünzen: der Himmel wird's schon richten! Doch der erste Teil des Films wühlt diese Empörung immerhin klug und kühl auf. Und Washington überzeugt nicht nur als Sturmwind im Ring. In den Gefängnisszenen nimmt er sein Spiel zurück in eine stählerne Innerlichkeit, in eine philosophische Klarheit, dicht an der Resignation vor den Verhältnissen, trotzdem hellwach für jede Chance. Der Mut zum gewaltlosen Kampf gegen das Unrecht – er ist animierend in Denzel Washingtons Gesicht geschrieben und überträgt die Fragestellungen nach Ausgrenzung, Toleranz und Widerstand auf den Zuschauer. Fragestellungen, die in Europa nicht weniger virulent sind, als in den USA.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.03.2000