Das Interview führte Margret Köhler.
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Ihre Werbefilme für Levi‘s, Nike oder Microsoft gelten als Kult, ihre Clips findet man im Museum of Modern Art. Inwieweit waren diese Erfahrungen bei The Cell hilfreich?
Ich liebe Werbung, das ist meine Welt, es macht Spaß ein Image zu verkaufen. Man lernt, eine Message knapp und prägnant zu vermitteln. Mir ist es egal, für welches Produkt ich werbe, mir geht es um den spannenden Prozess des Machens. Ich trinke keinen Alkohol, kann aber Werbung für Champagner entwerfen. Da bin ich wie eine Prostituierte, mich interessiert die Idee. Ich hätte auch für Mutter Theresa einen Werbe-Clip gemacht, aber damit kann man niemanden ernähren. Mein Ziel ist es, eine Geschichte visuell zu erzählen, nicht mit komplizierten Dialogen zu langweilen. Am liebsten hätte ich alle Dialoge entfernt.
Wie kam es zu dem Projekt?
Das Skript wurde wie eine heiße Kartoffel fünf Jahre lang herumgereicht. Niemand traute sich nach
Das Schweigen der Lämmer und
Seven an eine Serienkiller-Story heran. Aber
The Cell ist etwas Anderes. Mich faszinierte nur ein Aspekt, das Eindringen in das Bewusstsein eines anderen Menschen, ein Wahnsinnstraum. Diese Vorstellung hat etwas Schreckliches und Schönes zugleich. Bisher gehörte die Gedankenwelt dem Individuum, war sein Refugium. Wenn man ihm das nimmt, was bleibt ihm noch?
Wo lag der Reiz bei diesem ersten Film?
Bei den visuellen Möglichkeiten. Für mich war die Leinwand wie ein Blatt, auf dem ich malen und meine Fantasie sprudeln lassen konnte. Ich wollte eine Art Pop-Opera machen mit jeder Menge Kitsch. Mich reizen zweite und dritte Akte, da kommt es zur Klimax. Man muss den Film als Überhöhung begreifen ohne jeglichen Bezug zur Wirklichkeit. Wenn jemand etwas Realistisches sieht, habe ich etwas falsch gemacht und sollte die Szene sofort rauswerfen. Diejenigen, die glauben etwas von Psychoanalyse zu entdecken, muss ich auch enttäuschen. Kindesmissbrauch und die Folgen, das ist nicht mein Thema. Im Kino kann ich aber diese Frage dramatisch zuspitzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Nichts liegt mir ferner, als irgendwelche theoretischen Erklärungen abzugeben.
Und woher kommt Ihr Hang zur Oper?
Ich war nie in einer Oper oder einem Theater, nur einmal in einem Museum. Oper bedeutet für mich, alles auf die Spitze treiben, da schlägt mein kultureller Background durch, als Kind verschlang ich Hindi-Filme, konnte mich an den kräftigen Farben nicht sattsehen. In Hindi-Filmen spielt ein 50-Jähriger in Shorts einen College-Schüler und das Publikum rast, weil es für den Star zahlt, nicht für die Logik. In der Oper kann eine alte, fette Lady singen, weil sie eine schöne Stimme hat, nicht weil sie als junges Mädchen überzeugen muss. Diese Elemente vereinige ich. Diskussionen um Film als Kunstform verstehe ich nicht. Film ist Entertainment, ist Pop.
Es gibt religiöse Momente, Bilder, die an die Pieta erinnern.
Das war meine Idee. Ich habe mir überlegt, welches verstörende Bild kann ich finden. Den Bösen nur einfach so sterben lassen, das wollte ich dem Zuschauer nicht zumuten. Es musste ein Hauch von Tragödie in das Ende.
Sind Sie mit dem fertigen Produkt zufrieden?
Natürlich musste ich einige Kompromisse machen, manchmal auch kämpfen. Dieser Energieverlust macht müde, hält nur auf. Aber meine visuellen Vorstellungen konnte ich realisieren.
Welchen Einfluss hat Werbung auf Kinofilme?
Man muss noch etwas zurückgehen. Warum beeinflussen Musikvideos die Werbung? Weil die Kids mit Musikvideos aufwachsen. Und Werbung beeinflusst das Kino, weil Kids die größte Zielgruppe sind. Werbe- und Musik-Videos sind der Nährboden für Hollywoods Regienachwuchs. In den 60er Jahren kam der von den Filmhochschulen, es zählte nur der Inhalt. Inzwischen ist das Publikum optisch verwöhnt, will immer neue visuelle Kicks. Diese Entwicklung ist logisch und wird wohl auch in Europa nicht mehr aufzuhalten sein, auch wenn da noch eine andere Konzeption von Kino gehätschelt wird.
Bleiben Sie jetzt dem Kinofilm treu oder treibt es Sie zurück in die Werbung?
Erst einmal steht wieder Werbung auf dem Programm. Mir dauert die Filmproduktion zu lange, ich kann nicht ein oder zwei Jahre Däumchen drehen, ich muss etwas tun.