Der Teufel steckt nicht nur im Detail, er ist selbst ein Pedant. Zeit, Ort und Ritual müssen genau eingehalten werden, sonst klappt es offenbar nicht mit Satans Herrschaft.
Am Strand bei Vollmond, in einer bestimmten Nacht muss eine Frau vom Teufel begattet werden, um den Antichrist zu zeugen. "Planung, jahrelange Planung" sei dafür erforderlich gewesen, eröffnet man der noch nichts ahnenden Frau in Richard Caesars Horrorfilm
The Calling. Und auch bei der Geburt der zukünftigen Teufelsbrut muss genau zur festgelegten Stunde ein anderes, unschuldiges Kind dran glauben – gemordet vom eigenen Vater.
Wiedergeburten
Prallvoll von christlicher Metaphorik – aufrechte oder umgedrehte Kreuze, Wundmale, Bibel-strotzend – erlebt der ewige Kampf zwischen religiösem Guten und Bösen nicht nur in
The Calling eine überraschende Renaissance. Ob in Chuck Russells
Die Prophezeiung, in dem Schwarzenegger-Blockbuster
End of Days, in Rupert Wainwrights
Stigmata, in
Lost Souls oder in der Wiederaufführung des 70er-Jahre-Welterfolges
Der Exorzist – der Teufel und seine Machenschaften erscheinen mit einem Mal als Filmthema wieder salonfähig. Wenn himmlische und satanische Mächte um die Weltherrschaft streiten, geht es dabei auch häufig um eine Mutter und die Beziehung zu ihrem Kind. Die Jungfrau Maria und Christus bilden das unübersehbare biblische Urmotiv für ein Thema mit vielfältigen Variationen, dessen jeweilige Interpretation eine Menge erzählt über die Wertvorstellungen einer Gesellschaft und das Bild, dass sie von Frauen und Kindern hat.
Mutterliebe
Weder
The Calling noch
Die Prophezeiung sind wirklich gute Filme, sie bieten nur mageren Durchschnitt. Man muss das Genre des Mystery(-Thrillers) schon mögen, um die – durchaus vorhandenen – kleineren Feinheiten beider Filme und ihre Bedeutung als Ausdruck des kulturellen Unbewussten zu schätzen. Die Mutterschaft als größtes denkbares Frauenglück, das ist die Grundbehauptung beider Filme. Allerlei sonderbare Erlebnisse mit ihrem Ehemann sind wie weggewischt, als die von Laura Harris gespielte junge Amerikanerin Kristy St.Clair – welch ausdrucksvoller Name – endlich ein Kind zur Welt bringt. Und auch als sich die Spuren mehren, dass bei dem Kleinen nicht alles mit rechten Dingen zugeht, tut das ihrer ungebrochenen Mutterliebe keinen Abbruch.
Unbefleckte Empfängnis
Bieder und auf ein sehr konservatives Verständnis von Christentum zurückzuführen ist auch die Beschwörung der Mütterlichkeit in
Die Prophezeiung: Die von Kim Basinger gespielte Maggie wird zunächst als frustrierte und ungläubige(!) Alleinstehende eingeführt. Mitten hinein ins offenbar trostlose Single-Dasein bricht ihre Schwester mit einem neugeborenen Kind. Bald ist die Schwester wieder weg, das Baby aber bleibt. Ausgerechnet am Weihnachtsabend ist Maggie auf diese Art per unbefleckter Empfängnis plötzlich glückliche Mutter eines Christkindleins geworden. Tatsächlich entpuppt sich das junge Mädchen später, im Alter von sechs Jahren, als offenbar vom Himmel geschickt. Beschrieben wird es zunächst als "ein bisschen merkwürdig" und verhaltensauffällig – nicht anders, als der junge Satanssohn in
The Calling, der sein teuflisches Potenzial zunächst einmal an Haustieren und Spielkameraden auslässt.
Ur-Ängste
In beiden Fällen erzählen die Geschichten und das zu Grunde liegende Satanismus-Motiv viel von den heimlichen Ängsten des (US-) Mittelstandes, den Verschwörungs- und Bedrohungsfantasien, die gerade vermeintlich wohlgeordnete Verhältnisse – perfekte Familien – heimsuchen können. Wo reale Bedrohungen scheinbar ausbleiben, macht man sie sich im Kopf. Gatte, Angehörige oder Freunde als Satansdiener – das sind leicht erkennbare Metaphern für die Angst davor, was sich selbst hinter engsten Vertrauten verbergen könnte, vor den Abgründen, die sich im Alltag plötzlich auftun. Und die Vorstellung, das Böse könnte sich im engsten Familienkreis verbergen, gehört zu den Urängsten der Menschen.
Entfremdung zwischen Kind und Eltern
Nicht anders ist auch die Beschreibung der Kinder in beiden Filmen zu verstehen: Sozial schwer integrierbar und hochintelligent – diese Eigenschaften bilden wohl, glaubt man den Filmen, den Gipfel möglicher Entfremdung zwischen Eltern und Kind. Probleme und Konflikte mit hochbegabten Kindern hat Jodie Foster ein paar Jahre zuvor in wunderbar anderer, ganz weltlicher Weise in ihrer Regiearbeit
Das Wunderkind Tate zum Filmstoff gemacht. Jetzt wird die Unberechenbarkeit aus überirdischen Eingriffen erklärt, unbewusste Ängste der Erwachsenen vor nicht funktionierenden, "unerzogenen" Kindern verschmelzen mit dem klammheimlichen Wunsch, aus ihrer Verantwortung entlassen zu werden.
Spießbürgerliche Klischees
Ähnlich angstbesetzt erscheint auch die Darstellung des Satanischen: "Das Böse" muss selbstverständlich in Gestalt der Pop- und Rockkultur urbaner Jugendlicher daherkommen. Sind es in
Die Prophezeiung punkige Kids mit Trend-Frisur, erinnert der Diener des Beelzebub im anderen Film an einen übriggebliebenen Altrocker, seine Anhänger an eine Hippiekolonie aus den frühen 70ern. Sind die teuflischen Schergen erwachsen, arbeiten sie entweder im Medienbusiness (
The Calling), oder sie tun sich in einer okkulten Sekte zusammen, die bestimmt nicht ganz zufällig an bekannte Gruppen unserer Tage erinnert (
Die Prophezeiung). Allesamt enthüllen diese Bilder, dass ihre Macher ganz auf längst überwunden geglaubte, spießbürgerliche Klischees setzen – wo sie nicht selbst die Gefangenen solcher Vorstellungen sind, hofft man offenbar, damit Kassenerfolge erzielen zu können.
Verlorene Unschuld
In schwierigsten Prüfungen müssen sich dann beide Mütter als "Fighting Mom" bewähren, ihr Kind retten und – wie bei Maggie – überdies noch zum Glauben finden. Die heilige Familie in ihrer auf die Essenz des Mutter-Kind-Verhältnisses reduzierten Form bildet den letzten Schutz gegen die nicht mehr ganz neue Unübersichtlichkeit einer gefährlichen (teuflischen) Außenwelt der Moderne. Leitkultur à la Hollywood. Dazu gehört auch, dass man niemandem vertrauen kann. Rein gut bleiben allenfalls die Mütter, die überkorrekt alles tun und selbstverständlich auch ihr Leben riskieren, um ihr Kind zu retten. In
The Calling allerdings – darum erweist er sich als der interessantere, intelligentere von beiden Filmen – dreht Regisseur Richard Caesar seine teuflische Spirale noch weiter. Auch hier steht am Ende die reine, gute, blondhaarige Frau. Doch zuvor hat sie im Unterschied zu Maggie ihre Unschuld verloren. Christliche Mystik und Horror – nicht in allem glückt diese Kombination in den vorgestellten Fällen. Doch interessant als Ausdruck bestimmter, vermutlich höchst zeitgemäßer Obsessionen sind
The Calling und
Die Prophezeiung allemal.
Autor/in: Rüdiger Suchsland, 14.11.2006