Sind Kriegsfilme Actionfilme? Viele sehen das so. Auch in den drei Stunden, die
Pearl Harbor dauert, gibt es vierzig Minuten voller Actionsequenzen. Japanische Flugzeuge vernichten die amerikanische Pazifikflotte vor Hawaii. Ein amerikanisches Himmelfahrtskommando bombardiert Industrieanlagen bei Tokio. Im Kriegsfilm sind Actionsequenzen notwendiger Weise Kampfsequenzen. Es sind inszenierte Bilder vom Krieg. Bedenkt man, dass im Krieg Humanität grundsätzlich außer Kraft gesetzt wird, gehört also eine Portion Zynismus dazu, solche Erinnerungen an reale Ereignisse spekulativ in den Bereich der reinen Unterhaltung einzuordnen.
Fakten und Spezialeffekte
Der Überfall auf Pearl Harbor ist ein geschichtlicher Fakt des Zweiten Weltkriegs. Er hat Tausende von Toten gekostet. Eigentlich ein Datum, das Nachdenklichkeit eher verdient als die Maskierung des Geschehens mit atemberaubenden Spezialeffekten; ohne die kommt Action im Gegenwartskino nicht aus. Für
Pearl Harbor wurden sie aus Kulissen, Pyrotechnik und Computeranimation kombiniert. Doch sie erinnern weniger an die historischen Dokumente von der Schlacht um den Flottenhafen. Sie sehen haargenau so aus wie die Spannungshöhepunkte in
Star Wars,
Independence Day oder – wenn Schiffe versinken – wie in
Titanic. Solche Bilder verharmlosen als Augenfutter-Beilage zum Popcorn und Nervernkitzel als Besucheranreiz die geschichtliche Wirklichkeit.
Konservative Werte
Tatsächlich geht es Autoren und Regisseuren von Kriegsfilmen ohnehin weniger um die Bilder als um die Botschaften hinter den Bildern. Kriegsfilme sind Propagandafilme. Sie werben für Werte: Heldentum, Tapferkeit, Treue, Patriotismus. All diese Werte gehören zu einem sehr konservativen Weltbild. Oft genug dienen sie dazu, Feindbilder aufzubauen und unreflektierte Wir-Gefühle auszulösen. "Wir" Zuschauer kämpfen dann mit den Filmhelden für die gute Sache. Die "Anderen", die Feinde, müssen deshalb besiegt werden – egal wie.
Fair zum Gegner?
Pearl Harbor-Regisseur Michael Bay und sein Drehbuchautor Randall Wallace halten sich zugute, die japanischen Gegner in ihrem Film fair zu behandeln. Diese dürfen Gründe für ihre Attacke nennen. Doch die Kamerastandpunkte widersprechen solch vordergründiger Fairness. Als Personen werden Japaner nur wenige Minuten gezeigt. Während ihres Angriffs bleiben die japanischen Piloten gesichtslos. Die Amerikaner aber beherrschen alle übrigen Bilder und zeigen die Gesichter von Helden oder Opfern. Nur mit diesen ist die Identifikation des Publikums möglich. Der japanische Offizier kann den Sieg seiner Truppen schließlich gar nicht genießen. Er fürchtet, mit der Aktion einen schlafenden Riesen geweckt zu haben. Das heißt: Jetzt kommen die Amerikaner ("Wir"). Fürchtet euch!
Die Rache gelingt
Genauso funktioniert die Dramaturgie von
Pearl Harbor. Nach der halbstündigen Demütigung der US-Marine mit Szenen voller Leid und Verzweiflung lechzt das Publikum geradezu nach Rache. Michael Bay will es nicht mit einer Niederlage und bedrückten Gefühlen in den Abspann entlassen. Also inszeniert er ein heroisches Kommandounternehmen, wie man es aus zahllosen Kriegsfilmen kennt. Ein historisch zwar erfolgter, für den Kriegsverlauf aber völlig bedeutungsloser Kleinangriff amerikanischer Flugzeuge auf Tokio wird zur Heldentat hoch stilisiert. Endlich dürfen die Filmhelden Rafe und Danny, gespielt von Ben Affleck und Josh Hartnett, siegen. Und da macht das Publikum viel lieber mit.
Der Held im Rollstuhl
An historischer Genauigkeit darf man den Film ohnehin nicht messen. Er gibt viel zu wenig Informationen über das tatsächliche Geschehen. Richard Fleischers filmische Rekonstruktion der Schlacht um Pearl Harbor –
Tora! Tora! Tora! aus dem Jahr 1969 – war viel präziser. Die geschichtliche Persönlichkeit des gelähmten US-Präsidenten Roosevelt wird vor allem deswegen eingeführt, weil sie in einem Akt der Selbstüberwindung aus dem Rollstuhl aufstehen und so eiserne Entschlossenheit demonstrieren darf. Einen ganz kleinen politischen Anstoß gegen isolationistische US-Politik, wie sie die gegenwärtige Administration bevorzugt, gibt die von Jon Voight gespielte Figur allerdings auch.
Die Krankenschwester
Von der Selbstüberwindung ist es nicht weit zum Heldentod. Der ist für jeden Filmkenner aus der Konstruktion der Filmstory absolut notwendig und das nicht einmal aus patriotischen Gründen.
Pearl Harbor ist nicht nur Kriegsfilm. Er ist vor allem Melodram – die große Liebesgeschichte. Die Frau, die ins Spiel kommt, hat genau jenen Beruf, der in Krieg und Kriegsfilm das Pendant zum Soldaten ist. Evelyn (Kate Beckinsale) ist Krankenschwester. Doch in ihrer Berufsausübung zeigt der Film sie nur in der chaotischen Situation des Angriffs auf Pearl Harbor.
Die Frau zwischen den Männern
Tatsächlich hat sie nur die Funktion des Liebesobjekts zu erfüllen. Sie ist die Frau, die zerstörerisch in eine Männerfreundschaft eindringt. Zuerst verliebt sich Rafe in sie. Als sein Tod aus Europa gemeldet wird, tröstet sie sich mit Danny. Wie in Hunderten von Filmen schon geschehen, kehrt Rafe aber zurück. Hier wird eine Konfliktsituation ausgebaut, die nach emotioneller und rationaler Entscheidung verlangen würde. Doch auf den wirklichen und aktuellen Wert der Konfliktfähigkeit lässt sich Regisseur Michael Bay nicht ein. Er ruft lieber das Stereotyp des Schicksals zu Hilfe. Danny muss sterben. Er stirbt groß – mit dem Gestus des Gekreuzigten. So erlöst er die wahre Liebe, die nach dem Hollywood-Klischee nur die erste Liebe sein kann. Eigentlich hätte Evelyn Rafe über den Tod hinaus die Treue halten müssen ...
Altmodisch
Spätestens durch diese Haltung wird klar, dass
Pearl Harbor ein ungeheuer altmodischer Film ist. Er bietet keine neue Sicht auf den Krieg, den Kriegsfilm, die Liebe und den Menschen. Er hat mit dem Lebensgefühl heutiger Kinogänger kaum etwas zu tun. Man hätte ihn in den 50er Jahren genauso drehen können – so sehr staubt er aus der Perforation.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 01.06.2001