Das Interview führte Margret Köhler.
Gibt es ein spezielles Interesse, das Thema Wilhelm Furtwängler gerade jetzt aufzugreifen?
Nicht das Jetzt ist wichtig. Für mich zählten zwei Interessen: erstens die moralischen Fragen, die der Film aufwirft, nämlich die nach Mitverantwortung und Mitläufertum, zweitens wollte ich schon immer mal einen kammerspielartigen Film machen, bei dem ich nur auf Gesichter und die sich darin spiegelnden Emotionen achten muss. Das menschliche Gesicht ist die schönste Landschaft, darin kann man innere Kämpfe lesen wie in einem Buch.
Gerät der mit der Untersuchung betraute US-Major nicht in das Dilemma, die Methoden derjenigen anzuwenden, die er anklagt, wenn er Recht sprechen will?
Dieser Mann kommt aus Amerika, verlor seine besten Freunde und sieht dann die Konzentrationslager, diese nackten Körper, die in eine Grube geschaufelt werden. Mit so einer Unmenschlichkeit hatte er nicht gerechnet. Er hat das moralische Recht, diese Fragen zu stellen. Zugegeben, sie sind hart und aggressiv, aber nicht mit Gestapomethoden zu vergleichen. Aber Polizei ist Polizei – auf der ganzen Welt. Und der Grat zwischen Gut und Böse ist sehr, sehr schmal und manchmal weiß man vielleicht nicht, auf welcher Seite man sich befindet.
Die jungen Mitarbeiter, ein Jude und die Tochter eines Hitler-Attentäters, sind zu Verständnis oder gar Verzeihen bereit. Kann eine junge Generation leichter den Schritt nach vorne tun?
In diesem Fall sind sie emotional der Geschichte näher, sie kannten Furtwängler als Künstler, hatten eine deutsche Erziehung. Aber ich wehre mich gegen Pauschalisierungen. Es gibt ältere Menschen, die frei in ihren Gedanken sind und ganz junge Leute, die konservativ in Einbahnstraßen denken. Es geht um eine Mentalität, eine Offenheit – nicht um Alter.
Können Sie als Künstler Verständnis für den Künstler Furtwängler entwickeln?
Verständnis nicht, Gefühle wie Mitleid schon. Wenn ich manchmal meine Kollegen sehe und in den Spiegel schaue, denn denke ich oft, was ist mit uns geschehen, wohin driften wir? Wenn ich an meine Erfahrungen in der Diktatur Ungarns zurückdenke, sehe ich die Sache anders.
Sind wir heute weiter in der Beurteilung von Verstrickung und Schuld?
Wir sehen das Problem differenzierter. Nicht weil wir jetzt einen größeren Abstand haben, sondern weil es Änderungen gab, die Aufstände in Berlin, Budapest oder Warschau. Oder denken Sie an Sarajevo, die Ereignisse beeinflussen uns nachhaltig. Heute machen Menschen oft Politik, die ihr Fähnchen nach dem Wind hängen und sogar Applaus dafür bekommen.
Ist Politik unmoralischer geworden?
Haben Politik und Moral überhaupt etwas miteinander zu tun? Wie können Sie diese Begriffe in einem Atemzug nennen. Früher machten Menschen Politik, die auf Erfahrungen zurückblicken konnten, die kämpften und dienten – Politiker wie Willi Brandt oder auch Konrad Adenauer, Charles de Gaulle oder Bruno Kreisky. Inzwischen geben junge Pragmatiker den Ton an, denen es um Macht geht, die aber nichts von menschlichen Problemen wissen. Es geht in der Politik derzeit um Geschäft, nicht um Moral.
Woher kommt die große Affinität zwischen Politikern und Künstlern?
Weil sie sich psychologisch ähnlich sind. Beide wollen Menschen beeinflussen und verführen. Je größer diese Menschengruppe ist, um so besser für sie. Diese Spezies strebt nach Macht, Anerkennung und Bestätigung, weiß um die Kraft von Macht und Verführung. Auch ein Künstler muss sich Fragen nach der moralischen Vereinnahmung stellen und nach der Distanz. Aber wer ist dazu schon fähig? Diese Menschen sind so überzeugt von sich und so narzistisch. Die Sucht nach Macht ist größer als Moral. Deshalb besteht zwischen Künstlern und Politikern oft eine gegenseitige Verführbarkeit und Abhängigkeit. Der eine benutzt den anderen für die Durchsetzung seiner persönlich motivierten Ziele.