Der aus Bagdad stammende und in der Schweiz lebende Filmemacher und Videokünstler Samir schlägt in seinem ambitionierten Dokumentarfilm ein nur wenig bekanntes Geschichtskapitel des Nahen Ostens auf und leitet daraus ein ungewöhnliches Gruppenporträt ab. Auf radikale Weise wirft es die Frage nach dem Identitätsverständnis des israelischen Staatsbürgers auf und plädiert zugleich eindringlich für Toleranz und Völkerverständigung.
Irakische Emigranten in Israel
Der Filmautor Samir, dessen moslemischer, kommunistischer Vater Anfang der 1960er Jahre mit seiner Familie aus Bagdad in die Schweiz emigrierte, zeichnet am Beispiel von fünf Intellektuellen die Geschichte des Exodus der irakischen Juden und ihren Integrationsprozess im Hauptaufnahmeland Israel nach. Als 1947 noch vor der Gründung des Staates Israel im Irak antizionistische Pogrome ausbrechen, wächst der Druck auf die mehr als 100.000 irakischen Juden, bis sie Anfang der 1950er Jahre größtenteils in den neuen Staat Israel emigrieren.
Jüdische Araber oder arabische Juden?
Fünf irakischstämmige Juden und Jüdinnen, von denen vier in Israel leben und die fünfte in New York, berichten über ihre Erfahrungen beim Versuch, sich in die israelische Gesellschaft einzugliedern. Diese wird weitgehend von der Gründergeneration der europäischen Juden dominiert und drängt die arabischen Neuankömmlinge zur raschen Anpassung. Aus europäischer Sicht überrascht es, dabei zu erfahren, wie stark in der von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Aufbauzeit Israels ethnische und politische Unterschiede die Gemeinsamkeit der Religion überlagern: Wo die meisten Araber Moslems sind und als feindliche Nachbarn betrachtet werden, gilt ein einzelner jüdischer Araber erstmals als verdächtig.
Außenseiter
Samir gewährt den vier einstigen irakischen Kommunisten breiten Raum für ihre Erinnerungen an das friedliche Zusammenleben der religiösen Gruppen in Bagdad, die politischen Umbrüche der Nachkriegszeit und den demütigenden Empfang in Israel. Die deutlich jüngere Kulturwissenschaftlerin Ella Shohat erzählt zum einen von ihrer Diskriminierung als "stinkende Iraki" in der israelischen Schule und analysiert zum anderen die bis heute nachwirkende, systematische Klischee-Darstellung von Orientalen und arabischen Juden in alten israelischen Filmen.
Versöhnliche Grundhaltung
Samir macht sich somit zum Sprachrohr einer linksintellektuellen Minderheit in der Minderheit der arabischen Juden in Israel. Eine solche einseitige Auswahl von Gesprächspartnern muss zwangsläufig unausgewogen bleiben, zumal weder Israel noch der Irak offiziell zu Wort kommen. Da die Protagonisten jedoch differenziert argumentieren, auch gegensätzliche Erfahrungen und Haltungen artikulieren, entsteht ein facettenreiches, analytisches Puzzle, das in der Gesamttendenz auf Versöhnung zielt.
Das Eigene und das Fremde
Samir unterlegt diese komplexe Montage mit einem persönlichen Off-Kommentar, in dem er seine eigene Geschichte als irakisches Exilkind reflektiert und in die politische Analyse der nahöstlichen Problemstrukturen und Ideologietraditionen einbindet. Samir teilt mit seinen Protagonisten zwar das Herkunftsland, das Exilschicksal und die progressive, politische Einstellung, gehört als Moslem aber eigentlich der 'falschen' Seite an. Kurioserweise erleichtert ihm ausgerechnet der antiquierte irakische Dialekt des Arabischen, der sich in der Fremde quasi konserviert hat, in Israel den Zugang zu den fünf Hauptfiguren.
Raffinierte Bildmontage
Damit die ohnehin wortlastige Galerie der 'redenden Köpfe' nicht zur Monotonie führt, lässt sich der versierte Autorenfilmer, der bereits 35 Kurz- und Langfilme für Kino und Fernsehen realisiert hat, einiges einfallen. So teilen sich Zeitzeugenberichte das Filmbild oft mit Ausschnitten aus alten Wochenschauen, israelischen Propagandafilmen, ägyptischen Komödien und amerikanischen Geschichtsepen. Außerdem wandern im Bild-Hintergrund immer wieder arabische, hebräische oder lateinische Buchstaben durchs Bild und bezeugen gleichsam symbolisch die biografischen Brüche und politischen Verwerfungen. Allerdings zwingt dieser hohe Design-Aufwand zusammen mit den Untertiteln die Zuschauer zu einer ungewöhnlich konzentrierten Filmbetrachtung. Auf dem Filmfestival Locarno 2002 erkannte die Jury der "Kritikerwoche" dem Film ihren Preis zu und erklärte in der Begründung zu Recht, dass dieser "vollendet die ästhetischen Mittel des modernen Dokumentarfilms beherrscht".
Zeichen der Annäherung
So präzise der Regisseur die wechselseitigen Vorbehalte zwischen askenasischen und sephardischen Juden herausarbeitet, machen die weitgehend erfolgreichen Karrieren der ausgewählten Interviewpartner/innen doch die Möglichkeit der gelungenem Integration in Israel deutlich. Und wenn einer der Protagonisten darauf hinweist, dass arabische Brotsorten und Speisen auf den israelischen Märkten längst selbstverständlich geworden sind, setzt der Film bei aller Skepsis wie beiläufig Zeichen der Annäherung. Wer die innenpolitischen Spannungen zwischen den jüdischen Fraktionen in Israel, den Dauerkonflikt mit den Palästinensern, die wechselseitigen jüdisch-arabischen Aversionen und auch den Irak-Konflikt besser verstehen will, kann bei Samir sehr viel lernen – und das auf ebenso intelligente wie kurzweilige Weise.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.03.2003