Über die 1955 erschienene Romanvorlage des Briten Graham Greene zu dem Film des Australiers Phillip Noyce wurde in den USA einmal gesagt, Millionen von Menschen wären noch am Leben – nicht nur die 60.000 im Vietnamkrieg gefallenen Amerikaner – wenn John F. Kennedy oder Lyndon B. Johnson das Buch gelesen hätten. Das haben sie aber nicht und Graham Greenes komplexe und visionäre Geschichte hat es in Amerika auch nie leicht gehabt. Der Roman wurde nach seinem Erscheinen als "antiamerikanisch" geschmäht, die erste Filmversion von Joseph Mankiewicz 1958 zum Kassenflop. Die jetzige Verfilmung aus dem Jahr 2001 wurde nach den Ereignissen des 11. September vom amerikanischen Verleih auf Halde gelegt. Dabei erzählt der Film packend, eindringlich und werkgetreu, wie amerikanisches Selbstverständnis und Ignoranz zu fatalen Missverständnissen über fremde Kulturen führen können – was wohl genau der Kern des Problems ist.
Ein Politthriller
über politische Visionen
Der stille Amerikaner ist ein sehr gelungener Politthriller, der seine Spannung aus den politischen Hintergründen wie den Motivationen der Figuren gleichermaßen bezieht und auch bis zum Ende hält. Die Protagonisten – "Helden" gibt es keine – verkörpern und dramatisieren Gedanken und Ideologien aus der Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, in die sie selbst verwickelt sind. Thomas Fowler, Korrespondent der britischen "Times" im Saigon der 1950er Jahre, ist ein lebenserfahrener, weiser und kompetenter Journalist, aber auch ein müder, trauriger, einsamer Zyniker, (zu) gut vertraut mit den Trink- und Opiumhöhlen der Stadt. Im fernen London offiziell noch immer katholisch verheiratet, lebt er in Saigon mit der Jahrzehnte jüngeren Vietnamesin Phuong in einer Partnerschaft zusammen, die beiden ihre eigenen Versionen von Liebe, Sicherheit und Zukunftsaussichten bietet. In diese Beinahe-Variante von häuslichem Glück platzt der junge Amerikaner Alden Pyle mit scheinbar naiven Visionen von der Rettung Vietnams vor Kolonialismus und Kommunismus.
Morde und ihre Rechtfertigung
Nach anfänglicher gegenseitiger Achtung und Sympathie greift Pyle massiv ins Leben des älteren Engländers ein. Eines Nachts rettet er ihm während eines Angriffes nordvietnamesischer Truppen das Leben und beginnt eine Affäre mit dessen Lebensgefährtin Phuong, die sich davon eine andere, bessere Zukunft verspricht, eine Zukunft, die ihr Fowler nicht geben kann oder will. Ausgelöst durch diese private Demütigung eines Freundes und Lebensretters wird Fowler politisch selbst aktiv und kommt hinter die wahre Identität des jüngeren Kontrahenten in der Liebe. Pyle ist in Wirklichkeit CIA-Agent und aktiv an einem verheerenden Sprengstoffanschlag beteiligt, der das Eingreifen der Amerikaner in Vietnam rechtfertigen soll. In diesem Sinn ist er ein "amerikanischer Staats-Terrorist", Pionier einer US-amerikanischen Verstrickung in Kolonialismus und Imperialismus, die im Vietnam-Krieg enden wird. Einerseits glaubt Pyle ernsthaft und ehrlich an Demokratie, andererseits rechtfertigt er jedes Mittel im Kampf gegen den "Kommunismus" So vereinigt er gleichermaßen die besten und die schlechtesten Seiten Amerikas. Aus einer Vielzahl von Überlegungen heraus wird Fowler daraufhin an Pyles Ermordung mitschuldig. Seine Geliebte Phuong kehrt zu ihm zurück, sein Gewissen aber wird auf ewig belastet sein.
Distanzierte Beobachter und gutgläubige Retter
Die drei Menschen im Zentrum des Films lassen sich nicht in simplen Gut-Böse-Schemata fassen, sie werden hin- und hergerissen im Spannungsfeld zwischen ihren Gefühlen und ihrem Glauben, ihrer Lebenserfahrung und ihren Erwartungen an Gegenwart wie Zukunft. Fowler, Phuong und Pyle glauben, jeder auf seine Weise, an die Liebe und an Rettung, privat wie politisch. Sie glauben an ein anderes, besseres Leben in anderen, besseren Verhältnissen; allein die Zeiten und das Land machen dies schwer. Das Vietnam in Noyce's Film ist ein
Apocalypse Now-beschwörendes Vietnam nach dem Film von Coppola, mit dunklen Innenräumen, blendendweißen, heißen Tagen, schwül-bedrohlicher Landschaft. Eine albtraumhafte Anfangssequenz lässt keinen Zweifel daran, dass inmitten dieser harten Kriegszeiten persönliche Schicksale allzu leicht im Strudel der Ereignisse untergehen. So charakterisiert Fowler den Amerikaner Pyle in seiner "unschuldigen Schuld" mit den treffenden Worten: "Ein Land oder eine Frau zu retten ist dasselbe für einen Mann wie ihn." Für Fowler selbst, den Journalisten, der getreu dem Grundsatz eines außenstehenden Beobachters nie in irgendwelche Geschehnisse eingegriffen hat, ist erst Pyles Ankunft Anlass zum Handeln. Welche Beweggründe dabei für welche Handlungen ausschlaggebend sind, bleibt in der feinen Balance des Films dem Betrachter überlassen – ist nun Pyles Tod das Resultat von moralischer Überzeugung oder romantischem Zwang?
Werkgetreue Literaturverfilmung?
Graham Greene wäre mit einem solchen Ende und dem Film von Philip Noyce insgesamt sicher zufrieden gewesen. Die Verfilmung von 1958, entstanden in der Hochzeit der McCarthyschen Kommunistenjagd, ließ Greene dagegen von "Verrat" sprechen. Sie machte aus dem Amerikaner Pyle noch anstelle eines politischen Attentäters einen idealistischen, demokratischen Helden. Und der Brite Fowler wurde zu einem von den Kommunisten ausgenutzten Tölpel, dem zuletzt sogar seine Freundin davonlief, gewissermaßen als "Strafe" gemäß der herrschenden Moral der 1950er Jahre. Noyce macht in seinem Film klar, dass Fowler Recht hatte mit seiner Einschätzung der Person von Pyle. Fowlers daraus abgeleitetes Recht zum Eingreifen aber wird ein ewiges unauflösliches, persönliches Dilemma bleiben: "Ich wünschte ich könnte zu jemandem sagen, wie leid mir alles tut."
Tugenden und andere Wahrheiten
Die neue Verfilmung reflektiert die politische Aussage des Romans mit dem Vorteil der geschichtlichen Rückschau, nimmt allein durch ihre Werktreue kein Blatt vor den Mund. In den USA wurde sie dadurch zum Spielball schwer nachvollziehbarer Verleihüberlegungen. In diesen Zeiten einer allseits erwünschten Zurschaustellung des "true American spirit" sind dort anscheinend simplere Losungen gefordert, als sie im vielschichtigen und zutiefst menschlichen Film
Der stille Amerikaner geboten werden.
Autor/in: Thomas Gerstenmeyer, 01.05.2003