Das Interview führte Margret Köhler.
Regisseur Andrej Swjaginzew (Foto: V. Mishukov)
Inwieweit hat sich Ihr Leben durch den "Goldenen Löwen" in Venedig verändert?
Alles hat sich verändert, von einem Tag auf den anderen. Ich lebe in einer wahnsinnigen Hektik, reise plötzlich in der Weltgeschichte herum und gebe Interviews. Dabei will ich nicht über den Sinn des Films reden, sondern möchte den Zuschauer alleine lassen mit dem Werk, keine Vorgaben zum Verständnis liefern. Jeder soll den Film so interpretieren wie er will, ich will mich da nicht einmischen und meine eigene Sichtweise auch niemandem aufdrängen.
Aber vielleicht können Sie uns doch etwas verraten. Das Vater-Sohn-Verhältnis ist von Autorität geprägt. Gibt es ein Vorbild für die Figur des Vaters?
Überhaupt nicht, weder eine geschichtliche Figur noch meine eigene Vaterfigur. Dennoch existieren diese Väter – Männer, die von sich überzeugt sind und glauben, sie hätten immer recht. Diese Sicherheit verleiht ihnen eine bestimmte Ruhe und ein dominantes Auftreten. Solche Typen kennen keine Selbstzweifel. Ein starker Mensch ist nicht aggressiv. Aggressiv sind diejenigen, die ein Defizit haben.
Empfinden Sie den Vater als stark?
Er ist eine ambivalente Persönlichkeit, aber auch eine mit Stärken.
Stark erschienen mir die Frauen, die sich ohne Männer durchs Leben schlagen und ganz allein die Verantwortung für die Kinder tragen.
Die russischen Frauen sind bekannt für ihre Geduld und Zähigkeit. Sie müssen sich durchsetzen und den Alltag organisieren, sind verantwortlich für die Familie. Oft sind die Männer einfach verschwunden oder arbeiten weit weg von zu Hause und – dieses Problem darf man nicht vergessen – viele flüchten sich in Alkohol. Dass Kinder ohne den Erzeuger aufwachsen, gehört in Russland leider zur Normalität. Natürlich hat sich das männliche Rollenbild verändert, heute gibt es auch bei uns die smarte Geschäftsfrau, die Karriere machen will. Aber ich verweigere mich einer Analyse, das war nicht meine Intention. Der soziale Aspekt hat sich irgendwie ergeben, vorher habe ich mir keine Gedanken darüber gemacht.
Wie würden Sie das Vater-Sohn-Verhältnis beschreiben?
Es definiert jedenfalls nicht das typische Verhalten zwischen Vater und Sohn oder innerhalb der Familie – und ist keinesfalls typisch für Russland. Die Geschichte der "Carmen" sagt ja auch nichts über Spanien aus. Ich habe mich auf den Konflikt fokussiert, aber die Autoritätsfrage war für mich nicht vordergründig. Persönlich würde ich mich nie so autoritär verhalten. Zwischen Vätern und Söhnen herrscht oft eine unausgesprochene Spannung, auch in anderen Kulturen – vielleicht, weil sie sich als Rivalen fühlen.
Sie erzählen von einer vaterlosen Gesellschaft, ein universeller Konflikt?
Man sollte über einen Film nicht so viel reden. Wenn jemand meint, der Vater stehe für das alte Russland, ist das seine Interpretation. Es gibt mehrere Deutungen. Ich erzähle keine private Geschichte, sondern man sollte sie verallgemeinern und wie ein Gleichnis betrachten.
Der Film gliedert sich in sieben Schöpfungstage, biblische Motive ziehen sich durch die Handlung. Sind Sie ein religiöser Mensch?
Ich gehöre nicht zu denjenigen, die ständig in die Kirche rennen, sehe mich aber als religiös. Fragen der religiösen Weltanschauungen, bezogen auf christliche Werte, sind Kernfragen, die mich faszinieren.
Sie waren Schauspieler. Wie kamen Sie zur Regie? Wer hat Sie beeinflusst?
Als Jugendlicher habe ich eine Tarkowskij-Retrospektive gesehen; im Nachhinein gesehen, war das vielleicht der Auslöser. Ästhetisch und ethisch sind Robert Bresson, Michelangelo Antonioni, Akira Kurosawa meine Vorbilder, auch Alfred Hitchcock. An ihm bewundere ich die Fähigkeit, eine Spannung zu erzeugen und aufrecht zu erhalten.
Russland gilt nicht gerade als Hort der Liberalität. Gab es eine Art von Zensur?
Nein, wir konnten machen, was wir wollten. Generell würde ich in meinem Land nicht von Zensur sprechen. Manche Themen wie die Tschetschenien-Frage umgeht man besser, zumal wir durch die Terroranschläge in Moskau damit konfrontiert sind. Die meisten halten sich aus der Politik heraus. Selbst die Opposition ist in dieser Frage etwas zurückhaltender geworden.
Besteht eine Art Zusammenhalt zwischen den Filmemachern?
Wir sind alle Individualisten. Jeder konzentriert sich auf sein gegenwärtiges oder nächstes Projekt. Wir haben zwar einige Berufsverbände, aber die sind relativ unbedeutend. Kreative Menschen organisieren sich nicht gerne und haben Angst vor der Bürokratie.
Was machen Sie als nächstes?
Ich habe kein konkretes Projekt. Mich würde die Literaturverfilmung eines russischen Klassikers wie Tolstoi, Tschechov oder der Gebrüder Karamasov reizen. Nur begebe ich mich da auf dünnes Eis. Die Zuschauer kennen die Romane und würden sehr kritisch sein. Andererseits kommen Literaturverfilmungen gut beim Publikum an.