Dieses zum offenen Widerspruch auffordernde "Schicksal" in den Unterrichtsplänen teilt sich die Musik als "erste" Kunst mit der neuesten "siebten" Kunst, dem Film, dem nachgesagt wird, alle anderen Künste in sich zu vereinigen. Geht es beim Film etwa darum, das "richtige" Sehen und Einordnen zu lernen, soll man bei der Musik analog das "richtige" Hören lernen. Dass hierbei keineswegs allein das Sinnesorgan Ohr angesprochen wird, verdeutlicht auf beeindruckende Weise der Dokumentarfilm
Touch the Sound (deutscher Kinostart: 28. Oktober 2004) von Thomas Riedelsheimer – eine Entdeckungsreise in die Welt des Klangs mit der zu 80 Prozent tauben Perkussionistin Evelyn Glennie, die Klänge durch ihren Körper spürt. Und während in der Musikpädagogik längst zwischen der "Erziehung mit Musik" und der "Erziehung zur Musik" unterschieden und der spielerische, erlebnishafte und kreative Charakter von Lernprozessen betont wird, muss die neu proklamierte "Schule des Sehens", die unter anderem ästhetisches Denken lehren und gegen die Übermacht der Bilder wappnen soll, erst noch die rein zweckpädagogische Ausrichtung überwinden, um nicht zur bloßen "Erziehung mit Film" zu geraten. Das als Doppelausgabe konzipierte Kinofenster-Thema "Musik und Erziehung" möchte den Fragen nachgehen, ob die freiwillige und keineswegs nur auf einen Lehrplan bezogene Beschäftigung mit Musik etwas zu geben vermag, was andere Kunstbereiche und Fächer nicht oder nicht so gut leisten können. Dabei geht es nicht nur darum, was in den drei Filmen
Die Kinder des Monsieur Mathieu,
Rhythm is it! und
School of Rock erzählt und dokumentiert wird, sondern gleichermaßen, wie es (filmisch und musikalisch) vermittelt ist.
Schon in der Antike erachtete Sokrates Musik und Erziehung als Teil der praktischen Philosophie, und Platon formulierte später in seinem Werk "Der Staat", dass das Wichtigste in der Erziehung auf der Musik beruhe, "weil Zeitmaß und Wohlklang vorzüglich in das Innere der Seele eindringen und sich in ihr auf das Kräftigste einprägen." Viele Jahrhunderte später stufte beispielsweise Heinrich von Kleist die Musik "als Wurzel aller Künste" ein und als Medium und Bestandteil menschlicher Selbstverwirklichung. Doch erst im 20. Jahrhundert haben solche Erkenntnisse unmittelbaren Niederschlag in den Lehrplänen der Schulen genommen und im 21. Jahrhundert drohen sie bereits wieder zu verschwinden. Eine von 1992 bis 1998 an Berliner Grundschulen durchgeführte Langzeitstudie unter Leitung des Musikprofessors Hans Günther Bastian (siehe untenstehenden Link zur Literaturliste) erbrachte den Beweis, dass Kinder mit hohen Musikalitätswerten auch einen hohen Intelligenzquotienten hatten, frühes Musizieren und Musikunterricht die kognitive Entwicklung in überdurchschnittlicher Weise fördern, soziale Defizite kompensieren helfen, fachübergreifend auf Schlüsselqualifikationen des heutigen Berufslebens vorbereiten und die allgemeine schulische Leistung verbessern. Trotz solcher nachgewiesenen "Nebenwirkungen" der Beschäftigung mit Musik wendet sich Bastian vehement gegen "jede auf platten Nutzen bedachte Zweckpädagogik" und plädiert für eine Erziehung zur Freude an der Musik.
Ein Drama, eine Komödie und ein Dokumentarfilm: Ihrem jeweiligen Genre verpflichtet, beschäftigen sich die drei in der Doppelausgabe vorgestellten Filmproduktionen mit der Rolle der Musik bei der Erziehung (junger) Menschen. Sie vermitteln unabhängig vom jeweiligen Schulsystem auf sinnliche Weise, was die Musik zur Persönlichkeitsentwicklung und zur eigenen Ausdrucksfähigkeit beiträgt. Durch die ausführliche Auseinandersetzung mit klassischer beziehungsweise mit Rock-Musik, mit Rhythmik, tänzerischem Ausdruck und Chorgesang, verändert sich das Verhalten der betroffenen Schüler/innen erheblich, ihr Selbstvertrauen wird gestärkt und ihr Selbstbewusstsein entwickelt sich.
Die Kinder des Monsieur Mathieu spielt 1949 in einem französischen Internat für schwer erziehbare Kinder. Ein arbeitsloser Musiker bekommt dort eine Anstellung, gründet mit seinen Schützlingen einen Schulchor, gewinnt das Vertrauen der Schüler/innen und wendet sich mit ihnen gegen die harschen Erziehungsmethoden des Direktors. –
Rhythm is it! dokumentiert das erste große Education-Projekt der Berliner Philharmoniker unter Leitung von Sir Simon Rattle. Es ermöglichte Berliner Schülern/innen aus 25 Nationen, die zum großen Teil noch nie mit klassischer Musik konfrontiert waren, eine musikalische und tänzerische Begegnung mit Igor Strawinskys 1913 komponiertem und seinerzeit bahnbrechendem Werk "Le sacre du printemps". – In der Gegenwartskomödie
School of Rock erschleicht sich ein erfolgloser Rockmusiker des Geldes wegen eine Anstellung als Lehrer in einer amerikanischen Eliteschule. Statt den von ihm erwarteten Unterricht in den klassischen Lernfächern zu geben, weiht er seine etwa elfjährigen Schutzbefohlenen in die Geheimnisse der Rockmusik ein und gründet mit ihnen heimlich eine Rockband, die gegen Widerstände der Eltern und des Direktorats schließlich an einem lokalen Talentwettbewerb teilnimmt.
Literaturliste