Hintergrund
Geschichte der Homosexualität
Homosexualität ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts – zumindest in vielen Großstädten der Welt – kein Tabu mehr. Die rechtliche Gleichstellung homosexueller mit heterosexuellen Menschen in vielen Bereichen ist aber das Ergebnis eines Jahrhunderte langen Prozesses .
Die Anfänge
In der Antike gab es den Begriff der Homosexualität noch nicht. Allerdings waren bei den Griechen Beziehungen zwischen älteren und zumeist jüngeren Männern weit verbreitet. In der so genannten Päderastie war der ältere Liebhaber für die intellektuelle, charakterliche und oft sogar militärische Ausbildung seines Geliebten verantwortlich. Das homophile Verhältnis endete, wenn der Jüngling zum Mann herangereift war und ehefähig wurde. Dass die Päderastie überhaupt soziale Akzeptanz finden konnte, hängt mit den disparaten Verhältnissen in einer durchschnittlichen griechischen Ehe zusammen: Die Frau war in der Regel ungebildet, ausschließlich für den Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig und trat nie öffentlich an der Seite ihres Gatten in Erscheinung. Der zeigte sich lieber in Gesellschaft einer gebildeten Hetäre (Freudenmädchen im antiken Griechenland) oder eines Jünglings.
Von der Sünde zur Straffreiheit
Zu Beginn des 4. Jahrhunderts wird Homosexualität als Sünde angesehen und die betreffenden Menschen zu Außenseitern gemacht. Das Christentum berief sich dabei auf das Alte Testament. Die Schrift bestimmt die geschlechtliche Vereinigung zwischen Mann und Frau als Schöpfungsplan zur Fortpflanzung und verurteilt die fleischliche Lust. Eine erste radikale Wende in der Einstellung gegenüber Homosexuellen erfolgt 1804 in Frankreich. Kaiser Napoleons neues Gesetzbuch "Code civil des Française" gewährt der gleichgeschlechtlichen Liebe erstmals absolute Straffreiheit, solange dabei die Rechte Dritter nicht verletzt werden. Hinter diesem Gesetz stecken die französischen Enzyklopädisten und Vertreter der Aufklärung wie Voltaire, Montesquieu, Mably, Morelly und Condorcet.
Die Entwicklung in Deutschland
In Deutschland beginnt die Emanzipationsbewegung homosexuell orientierter Menschen 1897 mit der Gründung des wissenschaftlich-humanitären Komitees unter der Leitung des deutschen Sexualforschers Magnus Hirschfeld. In den 1920er Jahren entwickelt sich in Berlin eine vielfältige lesbisch-schwule Subkultur, die jedoch bald von den Nationalsozialisten bis auf die Wurzeln ausgerottet wird. Viele Verurteilte kommen in Konzentrationslager, wo sie mit einem rosa Winkel gebrandmarkt und zum Teil auch kastriert werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg bleibt der § 175 StGB des Bismarckschen Reichsstrafgesetzes, der männliche Homosexualität verbot, zunächst bestehen. Erst durch die westdeutsche 1968er Bewegung, der sich auch Schwule und Lesben anschließen, kommt 1969 eine Reform des § 175 zustande. Der analoge, weiter bestehende § 151 StGB der DDR, der sexuelle Kontakte zwischen Männern über und unter 18 Jahren unter Strafe stellte, wird 1988 von der Volkskammer vollständig gestrichen.
Internationale Emanzipationsbewegungen
Erstmals setzen sich Schwule und Lesben 1969 in New York bei einer Polizei-Razzia in einer Bar gegen Diskriminierungen öffentlich zur Wehr. Die nachfolgende Straßenschlacht bildet den Startschuss einer neuen Bewegung, die allmählich größere Kreise zieht. 1979 findet in Berlin erstmals eine Demonstration von Homosexuellen statt, der Christopher Street Day – benannt nach der Straße, in der sich die New Yorker Bar befand. Mit dem Thema Aids wird den Schwulen Mitte der 1980er Jahre eine neue Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zuteil. In den USA und in Holland ist mittlerweile eine ausgeprägte Lobby für die Emanzipation von Homosexuellen entstanden, die immer mehr auch ein Vorbild für die Deutschen wird. Lesbische und schwule Selbsthilfegruppen entstehen, in Berlin zieht 1985 Stefan Reiß als erster öffentlich bekennender schwuler Politiker ins Abgeordnetenhaus ein.
Mehr Rechte für Schwulen und Lesben
1989 richtet die Berliner Senatsverwaltung nach dem Wahlsieg von "Rotgrün" unter der Leitung der damaligen Senatorin für Frauen, Jugend und Familie, Anne Klein, das erste Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen ein. Ziel der Arbeit ist es, die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern sowie Vorurteile und Diskriminierungen abzubauen. In den folgenden Jahren werden Homosexuelle auch in den Medien immer präsenter: Im März 1990 zeigt die erfolgreiche Fernsehserie "Lindenstraße" erstmals Zärtlichkeit zwischen Männern, ein Jahr später outet Rosa von Praunheim den Entertainer Hape Kerkeling in der Sendung "Explosiv" als schwul. 2001 bekennt sich gar der Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit in einem sensationellen Auftritt zu seiner Homosexualität mit dem viel zitierten Satz "Ich bin schwul und das ist gut so". Bedeutende rechtliche Verbesserungen ergeben sich 1994, als der Bundestag beschließt, den § 175 StGB zu streichen. 1994 wird das Sonderstrafrecht für Homosexuelle aus dem bundesdeutschen Straftecht gänzlich getilgt. Im Februar 2000 verabschiedet die rotgrüne Bundesregierung ein Gesetz über "Eingetragene Lebenspartnerschaften", das zwei Menschen gleichen Geschlechts die Möglichkeit einer eheähnlichen Gemeinschaft ermöglicht.
Ungelöste Fragen
Angesichts solcher rasanter Entwicklungen und Fortschritte haben sich Lebenssituation und Akzeptanz homosexueller Menschen in Deutschland im 21. Jahrhundert entscheidend verbessert. Nach wie vor kritisch ist die Situation allerdings in der Provinz und noch immer gibt es viele Bereiche, in denen homosexuelle und heterosexuelle Menschen nicht gleichgestellt sind. Beispielsweise ist ein Adoptionsrecht für Homosexuelle noch nicht verabschiedet und besonders konservative Politiker/innen tun sich noch schwer mit der Elternschaft von Lesben und Schwulen. Im Lebensalltag treten allerdings gleichwohl mehr und mehr Männer- und Frauenpaare mit Kindern (aus früheren heterosexuellen Beziehungen oder künstlichen Befruchtungen) öffentlich in Erscheinung.
Autor/in: Kirsten Liese, 21.09.2006