Hintergrund
Die Weiße Rose
Szene aus dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage"
Mit dem Namen "Weiße Rose" waren Flugblätter überschrieben, die in München im Sommer 1942 von einer Gruppe von Studierenden zwischen 21 und 25 Jahren gegen das verbrecherische NS-Regime verteilt wurden. Bald schon galt die "Weiße Rose" als Zeichen für den gesamten Widerstandskreis, den die Gestapo nur wenige Monate später, am 18. Februar 1943, aufspürte. Die Todesurteile gegen die sechs Hauptakteure/innen der "Weißen Rose" – Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und Professor Karl Huber – folgten am 22. Februar und am 19. April 1943. Weitere Helfer/innen und Mitwissende erhielten Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren.
Herkunft und Prägung
Trotz einer nationalsozialistisch geprägten Schul- und Studentenzeit leisteten diese jungen Leute Widerstand gegen die NS-Diktatur und nahmen dabei sogar den Tod in Kauf. Gemeinsam war ihnen nicht nur die Gesinnung, sondern auch ihre Herkunft: Sie stammten alle aus konservativ-bürgerlichen und christlich geprägten Elternhäusern. Hans Scholl und Willi Graf waren darüber hinaus seit Mitte der 1930er-Jahre in der bündischen bzw. katholischen Jugendbewegung aktiv, die allerdings von Hitler 1933 verboten worden war. Wichtige christlich-ethische Impulse für die Herausbildung eines Gegenbildes zum totalitären NS-Staat kamen von Professor Carl Muth, Theodor Haecker und Professor Kurt Huber. Die Beschäftigung mit Literatur, Philosophie, Religion und Musik im privaten Freundes- und Bekanntenkreis bildete die Basis für ihr späteres oppositionelles Handeln. Eine weitere Nische, die Rückzugsmöglichkeiten von den politischen Anforderungen bot, waren die Studentenkompanien der Wehrmacht. Hier lernten sich Hans Scholl und Alexander Schmorell während ihres Medizinstudiums in München kennen. Ihre Freundschaft legte den Grundstein für den Entschluss, "nicht nur in Gedanken, sondern auch in der Tat Gesinnung zu zeigen".
Erste Flugblattaktionen
Die ersten vier Flugblätter wurden von den beiden unter der Überschrift "Weiße Rose" in kurzen Abständen zwischen dem 27. Juni und 12. Juli 1942 verfasst und mittels gezielter Postsendungen vor allem in Akademikerkreisen verbreitet. Die Flugblätter sollten die Leserschaft aus ihrer passiven Haltung aufrütteln. Sie griffen die Verurteilung der Gewaltverbrechen gegen Juden und Polen an den Kriegsschauplätzen an, warnten vor der Zerstörung zentraler christlich-abendländischer Werte und riefen zu Widerstandshandlungen auf. Doch die erwünschte Reaktion blieb aus, über ein Drittel der Flugblätter wurde direkt an die Gestapo weitergegeben. Nach einer Unterbrechung von über einem halben Jahr entstand Mitte Januar 1943 das fünfte Flugblatt, das eine eindeutig politische Handschrift trug. Es wandte sich diesmal an alle Bevölkerungsschichten und stellte konkrete Pläne für ein Nachkriegsdeutschland ohne Nationalsozialismus vor – ein Gedanke, der der Mehrheit der Deutschen zu dieser Zeit noch fern lag. Ausschlaggebend für den Wandel war der dreimonatige Russlandaufenthalt als Soldat nach der Einberufung an die Ostfront von Hans Scholl und Alexander Schmorell im Jahr 1942, der sie zu Zeugen von Mord- und Gräuelaktionen der Wehrmacht machte.
Rollenklischees
Die Gruppe drang auf Erweiterung und suchte aktiv Unterstützung in anderen Städten beziehungsweise Kontakte zu weiteren Widerstandsgruppen. In den engeren Kreis wurden Willi Graf, Christian Probst und Professor Kurt Huber aufgenommen. Auch Sophie Scholl stieß jetzt zum aktiven Kern dazu. Sie beteiligte sich an der Herstellung und Verteilung der Flugblätter. Die Schwester von Hans Scholl studierte nach einer Ausbildung zur Kindergärtnerin Biologie und Philosophie in München. Dass junge Frauen sich für Politik interessierten, sogar politisch engagierten, kollidierte zur damaligen Zeit mit althergebrachten Rollenklischees. Auch die männlichen Mitglieder der "Weißen Rose" gaben den Frauen nur nachrangige, weniger gefährliche Aufgaben. Sophie Scholl war es aber gerade durch eigenständiges, kritisches Denken gelungen, ausgehend von den Erfahrungen als BDM-"Mädel", durch die Inhaftierung ihres Vaters und mit der Diskriminierung jüdischer Freundinnen eine politisch-oppositionelle Haltung zu entwickeln. Doch an der Abfassung der letzten beiden Flugblätter wurde sie nicht beteiligt.
Einsamer Protest
Nachdem auch das fünfte Flugblatt nicht die erwünschte Wirkung gezeigt hatte, stand das sechste unter dem Eindruck der Katastrophe von Stalingrad. Es appellierte direkt an die Münchner Studierenden und verurteilte das nationalsozialistische Bildungssystem, da es den Einsatz der Studierenden für die Kriegsverbrechen missbrauche und ihr Recht auf persönliche Freiheit missachte. Die Gruppe setzte auf die seit der Kriegswende spürbar wachsende Unzufriedenheit. Ihre Aktionen wurden ungeduldiger und risikoreicher. So schrieben die männlichen Mitglieder nachts, mit einer Pistole bewaffnet, Parolen wie "Nieder mit Hitler", "Freiheit", oder "Hitler Massenmörder" an öffentliche Gebäude im Umkreis der Universität. Der Entschluss, das letzte Flugblatt morgens an der Universität auszulegen, wurde den Geschwistern Scholl am 18. Februar 1943 zum Verhängnis. Nach der Verhaftung, dem Schnellverfahren am Volksgerichtshof und der Vollstreckung der Todesurteile noch am gleichen Tag zeigte sich, wie einsam die Gruppe an der Universität gewirkt hatte. Der nationalsozialistische Studentenbund organisierte eine Sympathiekundgebung, bei der man dem Hausmeister, der Sophie und Hans Scholl der Gestapo übergeben hatte, öffentlich zujubelte. Das Vorbild der "Weißen Rose" musste im Verborgenen seine Wirkung zeigen. Mit dem Titel "Und ihr Geist lebt trotzdem weiter" verbreitete eine heimliche Gruppe an einem Münchner Institut das letzte Flugblatt bis nach Hamburg, bis auch sie aufflog. Ihr Anführer Hans Leipelt wurde am 29. Januar 1945 im Gefängnis Stadelheim hingerichtet.
Moralisches Verantwortungsbewusstsein
Der "Geist" der "Weißen Rose" wurzelte in einem christlich geprägten Unrechts- und Menschenrechtsbewusstsein und stieß sich an der grausamen Kriegswirklichkeit. Aufgrund vieler widriger Rahmenbedingungen gelang es ihnen nicht, wirksamere Mittel wie Sabotageaktionen oder gar Tyrannenmord zu planen oder gar umzusetzen und damit die NS-Herrschaft ernsthaft zu gefährden. Gleichwohl wurden solche Möglichkeiten im engsten Kreis der Gruppe diskutiert. Ihr moralisch-politisches Verantwortungsbewusstein trieb sie dazu, ihren Widerspruch gegen die Tyrannei öffentlich zu machen. Dass der Widerspruch wenigstens vernehmbar war, bedeutete Hoffnung: "Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet." (Aus dem letzten Flugblatt der "Weißen Rose".) Literaturhinweise: Moll, Christiane: Die Weiße Rose, in: Steinbach, Peter/Tuchel, Johannes (Hrsg.): Widerstand in Deutschland 1933-1945, München 1994 Schneider, Michael C./Süße, Winfrid: Keine Volksgenossen. Keine Volksgenossen. Der Widerstand der Weißen Rose, München 1993
Autor/in: Annette Eberle (Historikerin), 21.09.2006