Das Interview führte Uta Beth.
Bahman Ghobadi (rechts) bei den Dreharbeiten
Empfanden Sie es als Kurde mit iranischem Pass als Genugtuung, den ersten Film nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak drehen zu können?
Es war eine großartige Erfahrung, dass mich die Regierung der kurdischen Provinz im Nordirak bei diesem Projekt unterstützt und den Film koproduziert hat. Sie hat unsere Dreharbeiten, die mitten im Krieg stattfanden, mit 200 kurdischen Kämpfern geschützt. Sie hat die Zelte des Flüchtlingscamps wieder aufgebaut, für die Requisiten, überhaupt die ganze Logistik gesorgt und 6.000 Statisten organisiert, als wir die Ankunft der Amerikaner gedreht haben. Ihre Mitwirkung habe ich wiederum nur über meine Kontakte mit befreundeten kanadischen und amerikanischen Journalisten erreicht. Die Regierung hat erkannt, wie wichtig Filme für die Identität und Kultur unseres Volkes sind und fördert noch weitere Projekte. Auch ich will dort weitermachen und habe neben meiner Firma in Teheran jetzt auch im Nordirak ein Büro, um eine eigene kurdische Filmproduktion aufzubauen.
Aber das Bild, das Sie vom Leben in den kurdischen Siedlungsgebieten zeichnen, ist absolut düster. Warum sind Sie so pessimistisch?
Die Vergangenheit war bitter, die Gegenwart ist bitter und die Zukunft hängt leider nicht allein von uns selbst ab. Niemand ist interessiert, uns das Paradies zu erschaffen, und solange Öl und Geld bei uns fließen, wird es immer wieder Krieg geben. Wir Kurden zahlen dafür seit jeher den höchsten Preis. Kurdistan ist ja kein eigenes Land, sondern gehört zum Irak, Iran, zu Syrien und der Türkei. Was glauben Sie, wie viele Minen da an den jeweiligen Staatsgrenzen "eingepflanzt" sind! Während Saddams Krieg gegen den Iran war das die am heftigsten verminte Region der Welt, und nun ist es die Türkei, die jede Menge Minen an der Grenze zum Irak und Iran aufstellt, damit niemand einwandert. Ich habe Angst, dass schon morgen ein Angriff aus der Türkei kommt oder dass es jetzt im Konflikt zwischen den Amerikanern und dem Iran knallt.
Wollen Sie mit Ihren Filmen vor allem das internationale Publikum ansprechen?
Meine Absicht ist es, der ganzen Welt die wunderbaren Menschen in meinem Land zu zeigen, sie auf die katastrophale Lage meines Volkes aufmerksam zu machen und womöglich die Situation unserer Kinder zu verbessern. Natürlich möchte ich in erster Linie meine eigenen Leute erreichen. Aber leider können nur wenige bei uns diese Filme überhaupt sehen, weil es in den kurdischen Siedlungsgebieten für 40 Millionen Menschen nur 10 Kinos und kaum Abspielmöglichkeiten für DVDs oder Videos gibt.
Was erhoffen Sie sich für Reaktionen?
Dass man darüber nachdenkt, wie man diesen ewigen Kreislauf durchbrechen kann. Es ist doch immer das gleiche: Erst investiert man viel Geld in den Ankauf von Waffen, dann bezahlt man teuer dafür, dass sie wieder zerstört und recycelt werden. Also werden die Minen entschärft, geräumt und eingeschmolzen, Eisen und Metall zurück nach Europa geschickt, um wieder neue Waffen daraus zu machen, neue Minen und Panzer, die wieder in unsere Region verkauft werden, so dass wir sie nie los werden, diese hässlichen Geräte, aus denen unsere Kinder Blumenvasen, Zuckertöpfe und andere Gegenstände des täglichen Lebens machen. Minen raus, Minen rein, das ist ein zynischer Kreislauf, bei dem jeden Tag Unschuldige sterben oder verstümmelt werden. Die Welt soll endlich aufhören, uns den Tod zu verkaufen. Ich wünschte mir, dass Deutsche, Engländer, Italiener und Amerikaner so lang Druck auf ihre Regierungen ausüben, bis sie aufhören, mit ihren Waffen die Zukunft unserer Kinder zu zerstören und ihren Dreck selbst wegräumen.
Wie haben Sie das Thema für Ihren neuen Spielfilm gefunden?
Als ich all die versehrten, körperlich und seelisch verwundeten Kinder gesehen habe, dachte ich, ihre Geschichte muss für die Nachwelt festgehalten werden. Die Kinder sind unsere Zukunft und ich möchte, dass auch künftige Generationen sehen und begreifen, welches Unrecht an ihnen geschehen ist und geschieht.
Bahman Ghobadi (links) bei den Dreharbeiten
Wie sind Sie auf den Titel gekommen?
In gewisser Weise identifiziere ich das Leben der jungen Agrin mit dem einer Schildkröte, die ihre schwere Bürde mit sich herumschleppt. Man sieht, wie das Kind auf dem Rücken sie niederdrückt, wie schwer sie an der Last ihrer schrecklichen Erfahrungen trägt und wie sie verzweifelt versucht, sich davon zu befreien, zu springen, zu fliegen – selbst in den Tod.
Ihre Schauspieler/innen sind ausnahmslos Laien. Aber vor der Kamera agieren sie so natürlich, dass man glaubt, einen Dokumentarfilm zu sehen. Wie schaffen Sie das?
Es beginnt damit, dass man ihnen Vertrauen und Zutrauen gibt, und wenn wir dann drehen, sind wir 24 Stunden zusammen. Wir leben zusammen, wir essen zusammen, wir fahren im gleichen Wagen, und sie wissen, dass sie die Stars sind, wichtiger als die Produzenten, Kameramänner und Techniker. Sie sind dann so frei, dass sie alles können, was sie sollen. Es ist ja auch ihr Leben, das sie darstellen. Und nachts – wir schlafen ja auch zusammen – ändere ich die Dialoge für den nächsten Tag ab, füge ihre eigenen Geschichten ins Drehbuch und passe die Rollen ihrem Charakter an. Tatsächlich ist es ihr Beitrag, der am Ende den Film ausmacht. Denken Sie nicht, dass ich aus Finanzgründen keine professionellen Schauspieler beschäftige. Laien kosten in Wirklichkeit viel mehr, weil ich Emotionen in sie investiere, weil ich an ihrer Entwicklung interessiert bin und ihnen weiterhelfe, natürlich auch finanziell.