Hintergrund
Ganz normal rechtsextrem: Einstiegsdroge Heimatmusik
Szene aus dem Film "Kombat Sechzehn"
Mirko Borscht, der Regisseur des Films
Kombat Sechzehn, beschreibt seinen zehn Jahre jüngeren Bruder als typisches Wendejahrekind: "Die Freunde ziehen weg, die Eltern sind überfordert, es gibt nichts, woran man sich noch halten kann – außer eben Nazi zu werden." Borscht hat das Gefühl, zu spät reagiert und seinen Bruder vielleicht sogar direkt in diese Ecke gedrückt zu haben. Er findet aber auch, dass es keiner besonderen Veranlagung bedarf, um im rechten Milieu zu landen. Für ihn sind es "ganz normale Jungs in oder nach der Pubertät", die auf ihre oft unbeholfene Art wie andere versuchen, ihre Position im Leben zu finden.
Szenenwechsel
Wahlkampf in Schleswig-Holstein im Februar 2005: Kostenlos verteilen rechte Aktivisten/innen an den Schulen CDs mit zünftigen Balladen: "White Noise", "Wikingrock", darunter auch Stücke des rechtsextremistischen Kultmusikers Michael Regener von der Band "Landser". Regener ist seit 2004 Mitglied der NPD und Zugpferd hinsichtlich jugendlicher Klientel. Er wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt; seine "Landser" sind laut rechtskräftigem Urteil eine "kriminelle Vereinigung". Der NPD-Kandidat Peter von der Born äußerte sich zu der verschenkten Musik: "Die Lieder, das sind Heimatlieder und damit versuchen wir an den jungen Menschen heranzukommen, dass er sich damit identifizieren kann, dass er sehen kann, es gibt da jemanden, der dieselbe Idee hat oder denselben Gedanken wie die Leute selber." Fast ein Jahrzehnt lang überschwemmten Regeners "Landser" den Musikmarkt mit rechter Propaganda. Auf der CD "Endlösung" beispielsweise preist Regener den Holocaust und fantasiert, wie er ein jüdisches Mädchen ermordet: "Sarah, aus deinen Knochen hab ich so'n prima Gestell gebaut. Für'n Lampenschirm, und den dazu aus deiner herzlich zarten Haut ..."
Rechte Musik im Aufwind
Längst ist das jugendkulturelle Phänomen der rechten Szene über den männlich-martialischen Glatzenträger in Springerstiefeln hinausgewachsen. Der Verfassungsschutzbericht für 2004 verzeichnet eine Zunahme der einschlägigen Konzerte bundesweit auf 137 gegenüber dem Vorjahr mit 119, Dunkelziffer ungewiss. Eine kleine Auswahl des Verkaufsguts von "Rock Nord", einem Vertrieb rechter Musik und anderer Kultgüter: Hosenträger in den Farben Schwarz-Weiß-Rot, Baseballmützen der NS-Kultband "Screwdriver", Eiserne Kreuze, abgewandelte Hakenkreuze, Aufnäher mit der Aufschrift "White Power"; T-Shirts mit Aufdrucken der rechtsextremen Band "Proissenheads", vom "Weißen Arischen Widerstand", Totenkopf mit Wehrmachtsstahlhelm; außerdem jede Menge Tonträger, wie die von den Neonazi-Bands "Landser", "Störkraft" oder "Spreegeschwader". Das Musikfanzine von "Rock Nord" erscheint monatlich nach Eigenangaben der Herausgeber in einer Auflage von 17.000 Exemplaren. Auf den Internetseiten von "Rock Nord" schwärmen Fans für "Division Germania/Macht & Ehre – Hass schürender Lärm". Bewertung eines Online-Users namens "LandserBerlin88" (die Zahl meint zweimal hintereinander den achten Buchstaben des Alphabets: Heil Hitler): "Genial, diese CD! Mit den wirklich klasse Liedern wird einem Bestes geboten. Daher ein Pflichtkauf. Aber schnell, denn sie wird bald auf dem Index stehen." Oder die Bewertung von "Kammerad_xMan": "Als ich diese CD das erste Mal gehört habe, dachte ich erst: Wow, das ist eine richtige Hass Stimme."
Konsumgesellschaft von rechts
Hinter den als Trendsetter für die rechte Szene aufgemachten Vertrieben stecken handfeste wirtschaftliche Strukturen. Michael Weiss vom Antifaschistischen Pressearchiv in Berlin ist ein genauer Beobachter des Wandels: "Mit legal erworbenen Marktanteilen etabliert sich die rechte Konsumgesellschaft nicht nur in der Warenwelt. Es ist vorbei mit dem Schmuddelimage. Der leger-poppige Neonazi, vom klassischen Skinheadlook längst weit entfernt, geht auf Shopping-Tour durch seine rechte Boutique." Das fängt früh an: Die lieben Kleinen tragen Babylatze mit düster blickendem Wikingerkopf oder T-Shirts mit der Aufschrift "Kleiner Germane". Michael Weiss: "Rechts ist man aus modischen Gründen und aus Überzeugung."
Chartbreaker
"Ihr fragt euch jetzt, wer is dieser deutsche Junge, der so rappt mit seiner schwarz-rot-goldenen Zunge", reimt der 23-jährige Berliner Hip-Hop-Musiker Fler. Auf dem Cover: Reichsadler plus Frakturenschrift, typische Symbolträchtigkeit aus der Szene. Hip Hop ist gleich multikulturell, das war einmal. "Neue Deutsche Welle" nennt der Rapper sein Album. Michael Weiss: "Ich finde ihn gefährlich, gerade weil er kein Nazi ist. Seine Musik läuft ganz normal auf VIVA und MTV. Damit kann er die Mainstream-Jugendkultur direkt mit seinen Positionen infiltrieren." Ideologisch geschult seien die Jugendlichen nicht, so Weiss. Rechts sein sei normal geworden in Ost und West: gewaltbereit in der Überzeugung, einer Herrenrasse anzugehören – der ganz alltägliche Rassismus. "Germanisch und brandgefährlich", schreibt "Der Spiegel". Filmemacher Mirko Borscht aber warnt vor dem moralischen Zeigefinger: "Dieses Überernstnehmen führt dazu, dass das, was verboten ist, erst recht reizt. Was bleibt einem denn heute noch übrig, um zu provozieren? Tattoos, Piercings? Kein Mensch sagt irgendetwas. Kaum trägt einer ein Hakenkreuz, schreien alle."
Linke rechte Taktik
Im rechten "Fahnenblättchen" wähnt man sich am Puls der Zeit: "... denn immerhin leben wir im Jahr 2005. Der bestehenden 'Moderne' können wir derzeit nur zu selten widerstehen, da wir Teil des Ganzen sind und auch ein Nationaler Widerstand durchweg liberalisiert ist." Seit einigen Jahren beobachten Verfassungsschutz und Polizei, dass vermehrt links codierte Handlungsweisen kopiert werden: Da werden Häuser besetzt, um nationale Jugendclubs einzurichten, auf Demonstrationen arbeitet die Rechte mit der Anti-Antifa-Taktik: "Zentren erkämpfen – Blockbildung ausbauen, hoch die Schwarze Fahne, vorwärts die geistige Schwarze Front!", heißt es im "Fahnenblättchen", gefolgt von der Mahnung, dass sozialkritische Themen mehr ins Auge gefasst werden sollten.
Angst-Räume
Claudia Schmid, Leiterin des Berliner Verfassungsschutzes: "Wir beobachten neuartige Aktionsformen und ein äußerlich verändertes Erscheinungsbild, wobei vielfach Formen der linksextremistischen Szene übernommen werden. Stark im Kommen sind auch die Kameradschaften, hier beobachten wir seit einigen Jahren eine Doppelstrategie: Nach außen wird das Bild von erlebnisorientierten, modernen lokal- und jugendpolitisch engagierten Aktivisten vermittelt, während gleichzeitig die Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegnern und der Polizei zunimmt." Claudia Schmid spricht von Angst-Räumen: "Das können Bahnhofsvorplätze sein; in Berlin sind das bestimmte Stadtteile wie Lichtenberg, Hohenschönhausen, Marzahn oder Treptow-Köpenick. Hier kann es für Menschen mit anderer Hautfarbe lebensgefährlich werden."
Deutscher Herbst 2005
Fremdenfeindliche Übergriffe häufen sich, rechtsextreme Cliquen halten ganze Kleinstädte in Atem. Rechts ist chic, rechts zu reden und zu denken ist Teil der Jugendkultur bei vielen 15- bis 25-Jährigen. Das macht sich vor allem die NPD zunutze. Die Partei konnte ihren Mitgliederbestand 2004 bundesweit auf rund 5.300 erhöhen. Durch das von ihr propagierte Konzept einer "deutschen Volksfront" wurde sie, so Claudia Schmid, zum einigenden Mittelpunkt innerhalb der rechtsextremistischen Lager. Die Wahlergebnisse mit 9,2 Prozent für die NPD in Sachsen-Anhalt und für die DVU mit 6,1 Prozent in Brandenburg sprechen eine deutliche Sprache. Im Parteiprogramm der NPD ist neben der Einführung der Todesstrafe von der Erhaltung der "deutschen Volkssubstanz" die Rede, Grundlage des Staates sei das Volk, dessen Basis die "deutsche Familie" bilde, die zugleich "Träger des biologischen Erbes" sei. Die Oder-Neiße-Grenzlinie wird abgelehnt: "Deutschland ist größer als die Bundesrepublik!" – Willkommen im Wahlkampf 2005. Bernd Wagner, Diplom-Kriminalist und Experte in Sachen Rechtsextremismus: "Die NPD ist gut strukturiert, hat eine relativ feste Organisationsstruktur, ist ideologisch entwickelter und jugendkulturell gefestigter als im Vorjahr. In ihrer Politik ist die NPD mehr auf die Masse orientiert und versucht, Wähler weit über ihr Stammpotenzial hinaus zu mobilisieren." 134 Menschen starben in den letzten 14 Jahren durch rechte Gewalt, zählt das Projekt "mut-gegen-rechte-gewalt.de" von "stern" und der "Amadeu-Antonio-Stiftung".
Marcus Tullius Cicero: Wehret den Anfängen
Der schleswig-holsteinische Kandidat Peter von der Born erinnert sich: "Ich hab auch mit 'nem Glatzkopf angefangen, bevor ich in die Partei gekommen bin und bin da durch Musik rangekommen, also in die nationale Bewegung. Dann spielt es schon 'ne große Rolle, dass wir ihnen ein Stück Heimat zurückgeben in Form einer CD." Derweil versucht die Bundesregierung, mithilfe von 180 Millionen Euro bis 2006 mit Programmen gegen rechte Gewalt einen Trend zu stoppen, der sich als reale Gefahr für die Demokratie entpuppen könnte.
http://www.verfassungsschutzgegenrechtsextremismus.de/VgR/index2.htm
www.entimon.de
Teil des Aktionsprogramms der Bundesregierung "Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus"
cgi.dji.de
Das Deutsche Jugendinstitut untersucht langfristig und systematisch die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen, Frauen, Männern und Familien
www.fritz-bauer-institut.de
Das Fritz Bauer Institut ist als einziges Forschungs- und Dokumentationszentrum in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich dem Thema "Geschichte und Wirkung des Holocaust" gewidmet
www.tu-berlin.de/zfa/
Forschungsschwerpunkte und Lehrangebot sowie Projekte und Publikationen des Zentrums für Antisemitismusforschung
www.mobile-opferberatung.de
Autor/in: Silke Kettelhake, 01.06.2005