Gewalt in der Ehe
Das Thema "Gewalt in der Ehe" ist seit einigen Jahren stark ins öffentliche Bewusstsein gerückt, obwohl es bis vor kurzer Zeit noch zu den wenigen Tabuthemen in unserer Gesellschaft gehörte. Die einen ignorierten es vollkommen, andere betrachteten die Ausübung von Gewalt im familiären Kontext als reines Kavaliersdelikt, wiederum andere erachteten den gesamten Problembereich als Teil der Privatsphäre, in der die Öffentlichkeit und die Rechtssprechung nicht auch noch eindringen sollten. Diese Einschätzung hat sich zum Glück in vielen europäischen Ländern geändert, nicht zuletzt deshalb, weil es zu viele Opfer gibt und ohnehin Kinder als besonders Wehrlose und damit Schutzbedürftige die Hauptleidtragenden in solchen Beziehungsstrukturen der Erwachsenen sind. Zugleich wurde es offensichtlich, dass in einem Rechtsstaat der Schutz des Menschen vor körperlicher und seelischer Unversehrtheit nicht an der Haustür enden darf.
Männergewalt! – Frauengewalt?
Zahlreiche Untersuchungen in europäischen Ländern ergeben, dass dort mindestens jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt seitens ihres Ehemannes oder Lebensgefährten wird und in Deutschland beispielsweise 14,5 Prozent der Frauen irgendwann sexuelle Gewalt durch Familienmitglieder erleiden. Meistens scheinen die Frauen Opfer der häuslichen Gewalt und auch die neuere Gesetzgebung etwa in Österreich, der Schweiz und Deutschland hat vor allem sie im Blick, wenn es darum geht, gesetzliche Maßnahmen zum Schutz der Opfer zu ergreifen. Die gängige und keinesfalls abwegige Vorstellung geht davon aus, dass Männer eine größere Gewaltbereitschaft zeigen. Möglicherweise liegt dies daran, dass Frauen insbesondere in den noch traditionell patriarchalisch geprägten Gesellschaften de facto besonders benachteiligt sind, unterdrückt, gequält und ihrer elementaren Menschenrechte beraubt werden oder dass Männer aufgrund ihrer biologischen und sozialen Entwicklung auch stärkere und brutalere Gewalt anwenden. Nach dieser populären Annahme sind es also auch überwiegend Frauen, die zu Opfern häuslicher Gewalt werden.
Öffne meine Augen
Differenzierungen
Ganz so einfach scheint der vermeintlich klare Sachverhalt aber doch nicht zu sein und je mehr man sich mit dem Thema befasst, desto komplizierter und widersprüchlicher stellt es sich dar: Neuere Untersuchungen in den USA seit 1980 – beispielsweise von der Soziologin Suzanne Steinmetz – deuten darauf hin, dass Frauen tatsächlich in der genannten Häufigkeit zu Opfern werden, aber an der Entstehung und Ausübung von häuslicher Gewalt selbst weit mehr beteiligt sein könnten, als bisher angenommen. Einige Forschungen kommen sogar zu dem etwas Ergebnis, dass in einem Viertel der Fälle Gewalt allein vom Mann ausging, in einem zweiten Viertel ausschließlich von der Frau, und in der Hälfte der Fälle beiden Partnern/innen zuzuschreiben war. Möglicherweise ist hier ein Blick auf die Filmgeschichte hilfreich, insofern man akzeptieren möchte, dass Filme immer auch ein Spiegel der jeweiligen Gesellschaft sind. In den erzählten Geschichten über eheliche Gewalt ist es jedenfalls keineswegs so, dass allein die Männer die Täter und die Frauen die Opfer sind. Ein weiterer Blick in fremde Kulturkreise zeigt zugleich, dass sich nicht jede Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern objektiv aus eurozentristischer Perspektive beurteilen lässt. Es gilt daher, das Thema möglichst neutral zu erörtern und es nicht voreilig als billiges Mittel des Geschlechterkampfes zu missbrauchen. Viel wichtiger ist es, alle Formen von Gewalt im privaten Bereich, in Ehe und Partnerschaft zu ächten und nach Möglichkeit zu verhindern.
Die weisse Massai
Die Filme der Doppelausgabe
Die Kinofenster-Doppelausgabe möchte sich dem komplexen Thema mit zwei sehr disparaten, aktuell startenden Filmen aus unterschiedlichen Kulturkreisen nähern, um zur Diskussion anzuregen. In
Die weisse Massai und in
Öffne meine Augen schlägt der Mann zuerst zu und die Frau wird zum Opfer, zumindest aus ihrer Perspektive. Etwa zeitgleich mit diesen beiden Werken kommt ein untypischer Agentenfilm (
Mr. & Mrs. Smith von Doug Liman) in die Kinos, der das Thema mit den Stilmitteln des Genres aufgreift, soziologisch zwar sehr an der Oberfläche kleben bleibt und eine Pattsituation zwischen Frau und Mann schildert, sich aber des ungewöhnlichen Zugangs wegen ebenfalls für eine Auseinandersetzung eignet. Im spanischen Film
Öffne meine Augen erzählt die Regisseurin Iciar Bollain die Geschichte einer Frau, die von ihrem Mann zugleich geliebt und geschlagen wird und die es erst nach mehreren Jahren mit viel Mühe schafft, sich von ihm und seinen Nachstellungen zu lösen. Bollain möchte mit ihrem Film die Frage beantworten, warum eine Frau im Schnitt zehn Jahre bei ihrem Mann bleibt, der sie schlägt. – Die Verfilmung des Bestsellers
Die weisse Massai durch Hermine Huntgeburth handelt von einer Schweizerin, die sich während ihres Urlaubs in Kenia in einen Samburu-Krieger verliebt. Sie entscheidet sich, für die romantisch gefärbte Liebe ihr gesamtes bisheriges Leben aufzugeben und dem Krieger in sein Dorf zu folgen. In der Beziehung, aus der auch ein gemeinsames Kind hervorgeht, führen bald nicht nur kulturelle Unterschiede, sondern vor allem unvereinbare Rollenerwartungen zu heftigen Konflikten, bis es schließlich zu offener Gewalt kommt. Sie führt zum endgültigen Bruch der Beziehung.
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006