Hintergrund
Gewalt in Ehe und Familie
Ausgerechnet im Rahmen der Familie, in dem sich die Menschen besonders geschützt und sicher wähnen, kommt es am häufigsten zu gewalttätigen Übergriffen. Weltweit sind Millionen von Menschen Opfer von Isolation, Einschüchterung, Demütigung und Gewalt durch diejenigen, die ihnen am nächsten stehen. Häusliche Gewalt umfasst psychische Grausamkeit (Bedrohungen, Erniedrigungen und Beleidigungen) wie auch körperliche Gewalt jeder Art und Intensität (zum Beispiel Schläge, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung, Totschlag, Mord). Wissenschaftler/innen sprechen von einem "Kontinuum von Gewalt", das neben körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt auch ökonomische (Vorenthalten von Einkommen oder Unterhalt) und soziale Komponenten (Isolation, Kontaktverbot) einschließt.
Potenzielle Opfer
Prinzipiell kann es jeden treffen. Häusliche Gewalt ist nicht auf heterosexuelle und verheiratete Paare beschränkt, Frauen sind nicht die einzigen Opfer. Gewalt gibt es auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Auch Kinder und Männer gehören zu den Opfern. Zu häuslicher Gewalt kommt es in allen sozialen Schichten unabhängig vom Bildungsgrad oder den Einkommensverhältnissen, in Villenhaushalten wird ebenso geprügelt wie im Vororthochhaus. Alkohol und Arbeitslosigkeit spielen entgegen herrschenden Klischeevorstellungen keine besondere Rolle. In der Regel ist die Gewalt in der Familie Ausdruck eines Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter/in und Opfer. Oft etabliert sich ein System von Gewalt und Unterdrückung, das über Jahre fortbesteht. Die Täter/innen können den Opfern das Leben zum Albtraum machen. Die Opfer erleiden neben den körperlichen auch schwerwiegende psychische Verletzungen. Die Folgen wirken sich häufig auf den gesamten Alltag aus und gefährden das soziale Umfeld und die Berufstätigkeit.
Hohe Dunkelziffer
In etwa 80 Prozent der erfassten Fälle sind Männer die Täter, Gewalttaten von Frauen sind deutlich seltener und haben in der Regel weniger weitreichende Folgen. Eine vom Europarat zitierte Statistik weist häusliche Gewalt gegen Frauen weltweit als die Hauptursache für den Tod oder die Gesundheitsschädigung bei Frauen zwischen 16 und 44 Jahren aus. In Deutschland ist nahezu jede dritte Frau von Gewalt durch ihren Partner betroffen, wie eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ergeben hat, zu der im Jahr 2004 etwa 10.000 Frauen zwischen 16 und 85 Jahren befragt wurden. Gewalt durch den Partner gehört für viele Frauen und deren Kinder zum Alltag. Jährlich flüchten in Deutschland über 45.000 Frauen mit ihren Kindern vor den Misshandlungen ihrer Ehemänner, Lebenspartner oder Freunde in Frauenhäuser oder Interimswohnungen. Studien lassen vermuten, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt und der Faktor zwischen angezeigten und tatsächlichen gewalttätigen Übergriffen in der Ehe 1:10 entspricht. Eine im Jahr 1992 vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen durchgeführte Opferbefragung ergab, dass lediglich 7,5 Prozent der Opfer Anzeige erstattet haben.
Die Scham der Opfer
Nicht selten dauert es Jahre, bis sich eine Frau entscheidet, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zu den vielen Gründen, die den Schritt in die Öffentlichkeit so schwierig machen, gehört die Angst, dass die Gewalt eskalieren oder die Kinder in Gefahr geraten könnten. Hinzu kommt die allgemeine psychische Schwächung des Opfers, die Angst vor Einsamkeit und die Scham der betroffenen Männer und Frauen, mit häuslicher Gewalt öffentlich in Verbindung gebracht zu werden. Eine wichtige Rolle spielen wirtschaftliche Zwänge. Zudem wird die Rechtslage als unklar und unsicher erlebt. Viele Frauen vertrauen dem seit 2002 eingeführten Gewaltschutzgesetz (siehe Schlaglicht) nicht, weil sie Angst haben, nach einer Anzeige doch wieder allein dazustehen und erneuter Gewalt und Unterdrückung ausgeliefert zu sein.
Öffentlicher Bewusstseinswandel
Wissenschaftliche Studien verweisen zugleich darauf, dass häusliche Gewalt in den familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen fest verwurzelt ist. Lange Zeit tabuisiert und als reine Privatsache oder soziales Randproblem bagatellisiert, ist es insbesondere den Bemühungen der Frauen- und der Kinderschutzbewegung zu verdanken, dass Gewalt in der Ehe und Familie als gesellschaftliches Problem in das öffentliche Bewusstsein rückte. Die Initiativen zur Einrichtung von Frauenhäusern für misshandelte Frauen und ihre Kinder waren die praktische Konsequenz der Diskussionen über Gewalt gegen Frauen. In den Frauenhäusern konnten die in den Frauengruppen gesammelten Erfahrungen in eine langfristige, öffentlich wirksame Arbeit umgesetzt werden.
Neue Gesetzgebung
Die Forderung nach gesellschaftlicher Ächtung der Gewalt in der Familie wurde im Laufe der öffentlichen Diskussion zunehmend mit der Rechtsverletzung durch die Täter/innen begründet. Das Gewaltmonopol des Staates wurde auch für Gewalt gegen Frauen und Kinder eingeklagt und staatliche Intervention gefordert. Auch für Frauen und Kinder, die in der Familie bislang weitgehend schutzlos der Gewalt ausgeliefert waren, sollten die Menschenrechte nun in vollem Umfang gelten. Nach langjährigen kontroversen Diskussionen reagierte die Gesetzgebung 1997 mit einem Gesetz, das die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe stellt. Im Jahr 2000 wurden die Menschenrechte für Kinder durchgesetzt und ihnen ein Recht auf Gewaltfreiheit in der Erziehung eingeräumt. 2002 traten das "Gewaltschutzgesetz" und das "Kinderrechteverbesserungsgesetz" in Kraft. Für Frauen eröffnen sich – in der Verbindung mit den erweiterten polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten in den Bundesländern – nun zumindest erstmals Alternativen zur Flucht, wenn sie sich mit ihren Kindern in Sicherheit bringen wollen. Literaturhinweise: Gabriel, Sonya: Gewalt in Ehe und Partnerschaft, Berlin 2004 Lamnek, Siegfried/Ottermann, Ralf: Tatort Familie, Opladen 2004 Löhning, Martin: Zivilrechtlicher Gewaltschutz, Berlin 2004 Schweikert, Birgit: Gewalt ist kein Schicksal, Baden-Baden 2002
Autor/in: Irina Strelow (punctum, Bonn), 21.09.2006