Ihr Film erzählt von der Deportation jüdischer Menschen von Berlin nach Auschwitz. Wie ist das Verhältnis von historischen Fakten und filmischer Fiktion?
Dana Vávrová: Was die Genauigkeit in der Beschreibung angeht, so war es sehr wichtig für die ganze Recherche, Zeitzeugen zu finden. Das ist uns über die jüdische Gemeinde in Prag gelungen. Wir haben eine Überlebende getroffen, die bereit war, unsere Fragen zu beantworten. Sie wurde als 14-Jährige mit einem solchen Zug von Theresienstadt nach Auschwitz transportiert und hat ihre ganze Familie verloren.
Ist der Film Ihrer Meinung nach für Jugendliche geeignet?
Joseph Vilsmaier: Wir wünschen uns, dass viele Lehrer den Film sehen und mit den Jugendlichen ins Kino gehen, beispielsweise bei Schulfilmreihen in den Bundesländern. Der Film hat eine FSK-Freigabe ab zwölf Jahren erhalten. In dieser Altersgruppe der 12- oder 13-Jährigen ist es wichtig, dass man die Schüler nach der Vorstellung nicht allein lässt, sondern mit ihnen über den Film spricht.
Sie haben die Zeit des Nationalsozialismus bereits in Filmen wie Herbstmilch, Comedian Harmonists und Stalingrad behandelt. Warum ist es auch heute noch wichtig, Filme über den Holocaust zu drehen und im Kino zu zeigen?
Joseph Vilsmaier: Wenn ich mir vorstelle, dass das meinen Kindern oder Eltern geschehen wäre und alle vernichtet worden wären, dann kann man so etwas nicht oft genug erzählen. Film ist doch das Eindringlichste, was wir haben, um zu zeigen, was sich damals ereignet hat und um dazu beizutragen, dass so etwas Unmenschliches nie mehr passiert. Wenn ich das ganze Gerede höre, dass es das gar nicht gegeben hat und so, da kriegt man ja einen Wutausbruch.
Zwischen die langen Szenen im Zug schneiden Sie mehrmals Erinnerungen einiger Hauptfiguren ein. Was ist der dramaturgische Zweck dieser Erinnerungssequenzen?
Dana Vávrová : Es war uns sehr wichtig, dass während des Verlaufs dieser schrecklichen Reise, auf der diese Berliner Bürger in einen Zug einsteigen und nach sechs Tagen entwürdigt, fast wie Tiere, in Auschwitz ankommen, einem immer wieder vor Augen geführt wird, dass diese Menschen bis dahin ein normales Leben geführt haben. Normal in Anführungszeichen, denn die Judenvernichtung war ja schon Jahre in Gang. Diese Menschen waren jedenfalls einmal glücklich, es waren auch junge Menschen, die getanzt haben und verliebt waren.
Der Film spielt größtenteils in diesem Viehwaggon, das ist eine extreme klaustrophobische Situation für die Filmschaffenden sowie die Schauspielerinnen und Schauspieler, aber auch für die Zuschauenden. Wie sind Sie mit dieser dramaturgischen Herausforderung zurechtgekommen?
Dana Vávrová : Joseph und ich waren uns von Anfang an einig, dass wir den Film sehr geradlinig, fast dokumentarisch machen wollen, ohne Zeigefinger, ohne dass wir unseren Zuschauern diktieren, wann welche Emotion geweckt werden soll. Wir wollten genau das Gegenteil tun und sie auf die Reise im Waggon mitnehmen. Deswegen haben wir mit der Handkamera gedreht und waren ganz nah an den Menschen. Es ging darum, auf alle Effekte zu verzichten und konsequent die Geschichte zu erzählen. Das war für uns die einzige Möglichkeit, um diesem Verbrechen gerecht zu werden und das Ganze nicht zu beschönigen.
Wie haben Sie sich denn die Arbeit bei der Umsetzung dieses schwierigen Stoffes geteilt?
Joseph Vilsmaier : Wir bekamen das Drehbuch von Atze (Artur) Brauner, nachdem sich schon vier Regisseure daran versucht hatten. Damals haben wir gesagt, wir finden das Projekt wahnsinnig interessant. Seit der Gründung der Firma vor 20 Jahren und dem ersten gemeinsamen Film Herbstmilch haben wir alle Filme gemeinsam gemacht. Wir haben uns einfach gut ergänzt, die Dana war immer drin am Set mit den Schauspielern, ich war draußen am Monitor bei der Kontrolle. Wir haben viel diskutiert und waren auch nicht immer derselben Meinung. Das ist ja auch das Fruchtbare an der Zusammenarbeit. Aber schließlich einigt man sich, man muss sich ja irgendwo einigen.
Glauben Sie, dass ein Kinospielfilm überhaupt Botschaften, Haltungen und Überzeugungen vermitteln kann?
Joseph Vilsmaier : Ich glaube schon und ich habe das alles schon in den 20 Jahren erlebt, in denen ich Filme mache. Wir waren ja praktisch die Erfinder der reisenden Zunft, die ihre Spielfilme durch ganz Deutschland in den Kinos begleitet hat. Das ging 1988 mit Herbstmilch los. Wir haben manchmal drei, vier Stunden nach der Vorführung Fragen beantwortet und mit dem Publikum diskutiert. Inzwischen haben wir auch Der letzte Zug einige Mal gezeigt und ich habe nach jeder Vorstellung gemerkt, wie bewegt die Leute waren. Nach zwei, drei Tagen haben sie angerufen und gesagt: "Ich muss immer noch über den Film nachdenken." Wenn ich das höre, sage ich, es war richtig, dass wir diesen Film gedreht haben.