Hintergrund
Mut und Zivilcourage im Alltag
Historische Beispiele belegen, dass ein Individuum auf Grundlage seiner inneren Überzeugungen neue Wege beschreiten und sich aus einer Minderheitenposition gegen etablierte Herrschaftsstrukturen durchsetzen kann. Der gewaltfreie Widerstand des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi in den 1930/40er-Jahren kann hier ebenso angeführt werden wie der Kampf des Bürgerrechtlers Martin Luther King gegen die Unterdrückung der schwarzen Minderheit in den USA in den 1960er-Jahren. Doch auch im Kleinen, in alltäglichen Zusammenhängen – auf dem Weg in die Schule oder zur Arbeit, in der Straßenbahn oder im Fußballstadion – kann ein Mensch couragiert handeln. Heute wird dieses Handeln im Allgemeinen unter dem Begriff der Zivilcourage zusammengefasst.
Historische Definition
Die Definition von Zivilcourage variiert im Laufe der Geschichte: Antiken Vorstellungen zufolge war Zivilcourage mit politischer Klugheit, Tapferkeit, einem starken Empfinden für Gerechtigkeit und somit eng mit der Persönlichkeit des jeweiligen Menschen verbunden. Im Jahr 1864 stellte zum Beispiel Reichskanzler Otto von Bismarck fest: "Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber Sie werden nicht selten finden, daß es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt" und meinte damit vermutlich die Beherztheit, auch ohne Waffen für sich oder andere Partei zu ergreifen. Gegenwärtigen Auffassungen zufolge wird mit Zivilcourage der Mut eines/r Einzelnen bezeichnet, der/die aus einer vermeintlichen Position der Schwäche heraus gegen eine Mehrheit (dies kann eine Gruppe, aber auch eine Meinung sein) aufbegehrt.
Situatives Handeln
Voraussetzung für zivilcouragiertes Handeln ist eine Situation, in der charakteristische Wertvorstellungen (Menschenwürde, Demokratie, Toleranz) oder die Integrität eines (anderen) Menschen verletzt werden. In der Folge kommt es zu einem innerpsychischen Konflikt: Jeder Mensch verfügt über einen Handlungsspielraum in dessen Rahmen er sich auf freiwilliger Grundlage entscheidet, wie er handelt. Mut zeigt sich vor allem dann, wenn Schweigen durchbrochen oder eine offensichtliche Ungerechtigkeit angeprangert wird. Mutig gehandelt hat in der Regel also eine Person, die sich in einer schwächeren Position befindet. In dem Film
Der Traum (R: Niels Arden Oplev; 2005) entsteht diese Situation als der Schüler Frits den brutalen Schulleiter Lindum-Svendsen vor der versammelten Klasse als Lügner bezeichnet. Frits entscheidet sich für den aktiven Widerstand gegen eine Autorität. Sein Gerechtigkeitsempfinden ist stärker als die Angst vor einer Bestrafung.
Spontane Entscheidung
Zivilcourage ist ein Typus des sozialen Handelns und kein Persönlichkeitsmerkmal oder eine Charaktereigenschaft. Sie geschieht spontan, ohne Druck von außen. Eigenschaften wie Altruismus oder Empathie können sie zwar fördern, sind aber nicht unbedingt Voraussetzung. Zivilcourage entsteht meist ohne Absicht, sondern ein Individuum übernimmt unabhängig von persönlichen Konsequenzen, Nachteilen und Erfolg die Verantwortung für sein Handeln. Nach wie vor ist allerdings ungeklärt, warum Menschen in Stresssituationen einen meist auch von ihnen selbst unerwarteten Mut zeigen.
Positive Erwachsenen-Bilder
Ein Mensch wird sich eher dann gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen, wenn er über eine stabile und gefestigte Persönlichkeitsstruktur verfügt, die ihm das Vertrauen in sich selbst ermöglicht, denn nur so wird er in die Richtigkeit seiner Entscheidungen und Überzeugungen vertrauen können. Schon im frühen Alter wird die hierfür notwendige Grundlage geschaffen, da in der Kindheit das Selbst im Entstehen begriffen ist. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass der Familie oder dem Kind nahe stehende Bezugspersonen als primäre Sozialisationsinstanzen eine maßgebliche Rolle bei der Persönlichkeitsentwicklung spielen. In der Interaktion mit diesen erlernt das Kind beispielsweise Werte und Normen, die es in sein Selbst integriert. Positive erwachsene Vorbilder sind für Kinder demzufolge überaus bedeutsam, denn sie identifizieren sich mit ihnen und können sich so ein stabiles Wert- und Gerechtigkeitsempfinden aneignen.
Einfluss der Schule
Doch auch die Schule als sekundäre Sozialisationsinstanz hat einen gewichtigen Einfluss auf Kinder und Jugendliche. In der Regel ist hier couragiertes Handeln gegen Autoritätspersonen, die geltende Regeln überschreiten – beispielsweise Kinder diskriminieren oder ungerechtfertigt schlechte Zensuren vergeben – schwierig. Denn Schulen weisen gewöhnlich eindeutige Hierarchien auf, die zwar notwendig sind, jedoch von den Schüler/innen als Machtungleichgewicht wahrgenommen werden, gegen das nur schwer aufbegehrt werden kann. Zudem halten sich auch Eltern manchmal mit Kritik zurück, weil sie befürchten, dass ihre Kinder die Folgen "ausbaden" müssen. Doch kann Schule zugleich den Rahmen bieten, Zivilcourage zu lernen; dann nämlich, wenn Grundwerte wie Rücksichtnahme oder Hilfsbereitschaft nicht nur in Unterrichtsfächern wie Religion, Sozialkunde oder Ethik/Philosophie vermittelt, sondern ganz konkret im alltäglichen Miteinander praktiziert werden. So können Schüler/innen erfahren, dass ihre Meinung zählt und sie im kleinen Rahmen Einfluss nehmen können.
Literaturhinweise und Links
Heuer, Wolfgang: Couragiertes Handeln, Lüneburg 2002
Meyer, Gerd: Lebendige Demokratie: Zivilcourage und Mut im Alltag. Forschungsergebnisse und Praxisperspektiven, Baden-Baden 2004
Meyer, Gerd/ Dovermann, Ulrich (u. a. (Hrsg.): Zivilcourage lernen. Analysen-Modelle-Arbeitshilfen, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004
www.friedenspaedagogik.de
Mehr zum Thema Zivilcourage beim Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V.
Autor/in: Verena Walter, Diplom-Soziologin, 02.05.2007
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