Hintergrund
(K)ein Problem? - Konfliktstoffe im Kinderfilm
Es gibt gute und weniger gute Filme, die speziell für Kinder gemacht sind. Dabei sind die Beurteilungskriterien natürlich nicht gänzlich isoliert vom subjektiven Standpunkt und Erfahrungshorizont der Betrachtenden zu sehen. In der praktischen Kinderfilmarbeit und dank der kontinuierlichen jahrzehntelangen Anstrengungen der einschlägigen deutschen Verbände und Institutionen – neben den Festivals allen voran die Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK), das Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF) und der Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF) – bildeten sich gleichwohl argumentativ überprüfbare Kriterien darüber heraus, was einen "guten" Kinderfilm auszeichnet.
Mögliche Kriterien für einen guten Kinderfilm
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, seien einige dieser Kriterien genannt: Kinder haben vor allem und in erster Linie ein Recht auf Qualität und gute Unterhaltung. Die erzählten Geschichten sollten altersgerecht sein und den Kindern Anknüpfungspunkte an ihre Alltagsrealität bieten, selbst wenn der Film auf einem anderen Kontinent oder in einem fremden Milieu spielt. Wichtige Themen für Kinder sind beispielsweise familiäre Bindungen, Freundschaft und Schritte in die Eigenverantwortlichkeit. Ein guter Kinderfilm muss Identifikationsmöglichkeiten mit den Protagonisten/innen ermöglichen. Dies erleichtert im Wesentlichen die Rezeption von gefährlichen, traurigen oder belastenden Szenen, die Kinder in Maßen durchaus verkraften können. Wenn die "Helden" und "Heldinnen" solche Situationen erfolgreich meistern, wirkt sich das positiv auf die Gesamtwahrnehmung des Films aus. Dieser sollte zudem die Perspektive der Kinder und nicht die von Erwachsenen einnehmen, was ganz wörtlich zu verstehen ist, also auch visuell die Wahrnehmung der Welt aus der Augenhöhe von Kindern vermitteln. Schließlich sollte der Film den Kindern Hoffnung und Zuversicht geben, Orientierung für ihre eigene Lebenswirklichkeit ermöglichen und – vielleicht das Wichtigste – die Kinder und ihre Probleme ernst nehmen.
"Schwierige" Themen und fadenscheinige Begründungen
Nicht alle Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Kinderfilm in der Fachwelt als gut befunden wird oder sich erfolgreich vermarkten lässt. Unabhängig von der Qualität kann er an der Kinokasse "floppen" oder gar nicht erst auf die Leinwand gelangen und allenfalls eine DVD- oder Videoauswertung im "Home Entertainment-Bereich" erhalten. Bei problemorientierten Filmen wird in diesem Fall häufig das Argument angeführt, das Thema sei zu "schwierig", zu "gewagt" oder zu "ernst" – als würden Kinder nur leichte und unverbindliche Unterhaltungskost schätzen. Untersuchungen, beispielsweise ein Projekt der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) über die Wirkung von Kinofilmen auf Kinder, deuten jedoch auf das Gegenteil hin. Nun ist natürlich auch der Kinderfilm eine Ware, die einen bestimmten Gewinn erzielen soll. Dies wird dann zum Problem, wenn die Verleihfirmen dem Marktwert eines Kinderfilms nicht trauen und ihn mit chancenlos wenigen Kopien ins Kino bringen; wenn Kinobetreibende diesen Film nur deshalb nicht ordern, weil er in der Besucherstatistik gleich in der Startwoche ein schlechtes Einspielergebnis erzielt; wenn sich Eltern mit ihren fünfjährigen Sprösslingen einen Film ansehen, der ausdrücklich erst ab zwölf Jahren empfohlen wurde, und sich dann moralisch entrüstet zeigen, oder wenn der Film wie ein besonders unbeliebtes Schulfach beworben wird. Mit "vereinten Kräften" ist daher schon so mancher erstklassige Kinderfilm auf der Strecke geblieben.
Entwicklungsstadien und Jugendschutz
Ein Thema oder ein Problem, das kindgerecht aufbereitet wurde und von der entsprechenden Altersstufe zumindest in seinen Grundzügen verstanden wird, kann per definitionem unmöglich zu "schwierig" für Kinder sein. Selbstverständlich sind die entsprechenden kognitiven, psychischen und sozialen Entwicklungsstufen von Kindern bei der Altersempfehlung zu berücksichtigen und darüber hinaus den Belangen des Jugendschutzes Rechnung zu tragen, wie sie von der FSK vertreten werden. Zum Streitpunkt in der Fachwelt und in der Öffentlichkeit geraten vorzugsweise solche Filme, die ihre Geschichten zwar aus der Perspektive der Kinder erzählen, aber zugleich an echte oder vermeintliche Tabuthemen unserer Gesellschaft rühren, wie etwa Krieg und Diktatur, Tod und Abschiednehmen oder gar Gewalt in der Familie. Kinder hier zu überfordern, wäre unverantwortlich, aber auch sie sollten bereits die Chance erhalten, sich mit solchen Themen, abgesichert über das Medium Film, auseinander zu setzen. Zumal solche Problematiken in der Realität Millionen von Kinderschicksalen geprägt haben und weiterhin prägen werden.
Geheimnisse der Filmbewertung
Manchmal ist es jedoch selbst für Fachleute nicht einfach, einen Film adäquat zu beurteilen, gerade wenn er thematisch oder ästhetisch Neuland betritt.
Das Geheimnis der Frösche (Jacques-Rémy Girerd, Frankreich 2003) ist so ein Beispiel. Der Animationsfilm verlegt die mythologische Geschichte von der Arche Noah in heutige Zeiten mit zwei Kindern als Protagonisten/innen und wird zur Parabel über die Grenzen der Toleranz, über Konfliktbewältigung und das Prinzip Hoffnung. Vorgesehen als Eröffnungsfilm des Kinderfilmfests/Filmfests München 2004 und von dieser Seite ab 6 Jahren empfohlen, gab der Bayerische Filmgutachterausschuss den Film für das Festival kurzfristig erst ab 12 Jahren frei. Das zentrale Argument für diese Entscheidung lag in der "durchgängigen Bedrohungssituation der beiden Kinder, die vereinsamt und isoliert in einer bedrohlichen Umwelt leben". Diese Problematik, so der Ausschuss, werde auch durch das Happy End nicht aufgelöst und relativiert. Der Film verfehlte natürlich durch die Heraufsetzung der Altersfreigabe auf dem Festival sein intendiertes Zielpublikum – und erhielt für die Kinoauswertung später von der FSK die Kennung "ohne Altersbeschränkung". Unweigerlich drängt sich bei der Begründung der Gutachter/innen ein Vergleich mit dem Film
Hoppet von Petter Næss auf, in dem zwei kurdische Flüchtlingsjungen dem Krieg in ihrem Heimatland entkommen und in der Fremde ohne ihre Eltern zurecht kommen müssen. Auch in diesem Film geht es zentral um das für alle Kinder wichtige Gefühl, plötzlich auf sich alleine gestellt zu sein, auch hier löst das Happy End die Grundproblematik der Migration nicht auf. So bleibt nur zu hoffen, dass
Hoppet sein Publikum findet, selbst wenn er ein schwieriges Thema zur Grundlage nimmt.
Literatur und Links
Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft u. a. (Hrsg.): Medienkompetenz und Jugendschutz. Kinder und Jugendliche beurteilen die Wirkung von Kinofilmen, Wiesbaden 2003
Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft u. a. (Hrsg.): Medienkompetenz und Jugendschutz II. Wie wirken Kinofilme auf Kinder?, Wiesbaden 2004
Kinderkino München e.V./Kinder und Jugendfilmzentrum in Deutschland (Hrsg.): Inspiration Kinderfilm. Modelle der medienpädagogischen Vor- und Nachbereitung. Sonderdruck der Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz, München 1996
Völcker, Beate: Kinderfilm. Stoff- und Projektentwicklung, Kostanz 2005
www.kjk-muenchen.de
Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz (KJK)
www.kjf.de
Kinder- und Jugendfilmzentrum in Deutschland (KJF)
www.bjf.info
Bundesverband Jugend und Film e.V. (BJF)
Autor/in: Holger Twele, Filmpublizist und Medienpädagoge, 24.11.2007
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