Krimi mit verzwickter Handlung
Über Howard Hawks Krimi-Klassiker
Tote schlafen fest kursieren legendäre Anekdoten, doch die wohl beste betrifft die konfuse Handlung des Films. Demnach erkundigte sich Regisseur Hawks während der Dreharbeiten bei Raymond Chandler, dem Autor der Romanvorlage, durch wessen Hand eine der vielen Nebenfiguren ums Leben gekommen sei. Aber der reagierte nur mit einem Achselzucken, so dass sich Hawks und sein Produzent Jack Warner darauf einigten, einfach weiterzumachen.
Tote schlafen fest sollte bald darauf zum Filmklassiker avancieren, nicht zuletzt
wegen seiner verworrenen Geschichte voller Andeutungen und dem suggestivem Geplänkel zwischen seinen Stars Humphrey Bogart und Lauren Bacall.
Ein Einzelgänger ermittelt
Bogart spielt in
Tote schlafen fest den Privatdetektiv Philip Marlowe, der auf einen Erpressungsfall angesetzt, sich im Großstadtdschungel durch ein Netz aus Verbrechen, Intrigen, Lügen und Verführung schlägt. Der Film zeigt in
schwarz-weißen Bildkompositionen eine amoralische Welt mit eigenen Regeln. Aufgrund des sogenannten Hays Codes, eines Filmzensursystems, waren die US-amerikanischen Studios ab 1934 dazu verpflichtet, "moralisch einwandfreie" Unterhaltung zu liefern. Hawks umging diese Vorschrift mit versteckten Anzüglichkeiten. Legendär sind bis heute die frivolen Dialoge Bogarts mit diversen Schönheiten. Bei seinen Recherchen für
General Sternwood kommen Marlowe wiederholt die Töchter seines Auftraggebers Vivian und ihre nymphomane Schwester Carmen, ein Casinoboss samt Schergen und ein Kleingangster mit seinem Liebchen in die Quere. Marlowe erträgt das Durcheinander mit Gleichmut und markigen Sprüchen, während er von einer Falle in die nächste stolpert. Die Auflösung des Falls ist dann, nicht ungewöhnlich für den Film Noir, übers Knie gebrochen. Oft fehlte zudem das Geld oder die Zeit, um die Filme vernünftig zu Ende zu drehen.
Ein Genre wird gesellschaftsfähig
Tote schlafen fest gehört – neben
Die Spur des Falken (The Maltese Falcon, John Huston, USA 1941) und
Rattennest (Kiss Me Deadly, Robert Aldrich, USA 1955) – zu den Filmen, die einem beim Begriff Film Noir spontan einfallen. Auch Hawks' Film lebt mehr von seiner düsteren Stimmung und den in allen erdenklichen Grauschattierungen schillernden Charakteren als von seiner Story. Romanautor Raymond Chandler gehört neben Dashiell Hammett, Mickey Spillane und James M. Cain zu den wichtigsten Vertretern des sogenannten Hardboiled-Genres, das vielen Film Noir-Klassikern als Vorlage diente: ruppig geschriebene und gewalttätige Krimis, Groschenliteratur. Inhaltlich also im B-Movie-Bereich angesiedelt, war
Tote schlafen fest der Film, der erstmals mit dem glamourösen Hollywood-Starsystem zusammengeführt und darüber beworben wurde.
Die Stars
Bogart und Bacall, frisch verheiratet, hatten bereits zwei Jahre zuvor in
Haben und Nichthaben (To Have and Have Not, Howard Hawks, USA 1944) das Publikum mit ihrer Leinwand-Chemie gebannt. Nun sollte Hawks dieselbe Magie auf den pessimistischen Film Noir übertragen. Bogart hatte sich mit
Sie fuhren bei Nacht (They Drive by Night, Raoul Walsh, USA 1940),
Entscheidung in der Sierra (High Sierra, USA 1941) und
Die Spur des Falken bereits eine Reputation als verlässliche Noir-Größe erarbeitet. Die damals 22-jährige Lauren Bacall stand dagegen am Anfang ihrer Karriere, sollte mit ihrer Rolle der undurchsichtigen Vivian aber das Bild der Femme fatale (neben Barbara Stanwyck und Rita Hayworth) für immer prägen.
Im Labyrinth der Großstadt
Die Großstadtd ist die perfekte Kulisse für den Film Noir, weil sie wie in keinem anderen Genre zu einem ebenbürtigen Charakter im Film wurde. In den 1940er-Jahren begannen Filmemacher/innen die Straßen von Los Angeles, New York und Chicago als Drehorte zu entdecken, was ihren Werken einen raueren, authentischeren Charme verlieh als reine Studioproduktionen. Nicht zuletzt den besonderen Lichtverhältnissen beim Außendreh verdankt der Film Noir seine charakteristische Ästhetik. Auch
Tote schlafen fest lebt vom Spiel mit Licht und Schatten, das eine unterschwellig bedrohliche Atmosphäre erzeugt, betont durch die
Musik von Max Steiner. Figuren verharren im Halbdunkel oder erscheinen nur schemenhaft. Die sorgfältig ausgeleuchteten Interieurs, die ganz auf das Spiel der Darsteller/innen zugeschnitten sind, stehen im direkten Kontrast zu den nächtlichen, oftmals durch Regen oder Nebel verschleierten Außenaufnahmen. Ein Kritiker bezeichnete
Tote schlafen fest einmal als ein "Labyrinth", und diese Einschätzung bezog sich sowohl auf die verworrene Handlung des Films als auch die Stadt selbst, durch die Marlowe wie eine Flipperkugel geschossen wird.
Kino der Krise
An
Tote schlafen fest zeigt sich aber auch die Subversivität des amerikanischen Genrefilms zur Studio-Ära Hollywoods. Hawks verband alle Zutaten des klassischen Noir zu einem grandiosen Unterhaltungsfilm, der nicht nur erzählerisch mit den Konventionen seiner Zeit brach. Auch wenn der Film Noir nicht per se sozialkritisch zu nennen ist, gab es doch kein anderes Genre, das die gesellschaftliche Stimmung in den USA der 1940er- und 1950er-Jahre formal so direkt aufgriff. In seinem Moralverständnis mag
Tote schlafen fest zwar zivilisierter als etwa Billy Wilders tiefschwarzer
Frau ohne Gewissen (Double Indemnity, USA 1944) erscheinen. Aber auch Hawks' Bilder lassen die (wirtschaftliche) Unsicherheit und politische Paranoia (die Angst vor dem Kommunismus) der Nachkriegsjahre erahnen. Nicht zufällig entlehnte der Film Noir seine Stilmittel (verquere
Kameraeinstellungen,
Lichtsetzung) dem expressionistischen Film der Weimarer Republik, ebenfalls das Kino einer gesellschaftlichen Krisenzeit.
Autor/in: Andreas Busche, Filmpublizist und Filmrestaurator, 22.06.2009
Mehr zum Thema auf kinofenster.de: