Märchenhafter Aufstieg
Von der somalischen Wüste auf die Laufstege der teuersten Designer/innen: Dieser märchenhafte Aufstieg gelingt Waris Dirie, Tochter eine Nomadenfamilie, als sie sich ab Mitte der 1980er-Jahre als Top-Model in der internationalen Modeszene etablieren kann. 1997 spricht die Afrikanerin erstmals öffentlich in einem Interview über ihre Genitalverstümmelung und setzt sich im Anschluss als Sonderbotschafterin der UNO für ein Verbot dieses grausamen Rituals ein.
Stationen eines Lebens
Sherry Hormann hat Diries Autobiografie
Wüstenblume (1999) frei adaptiert. Ihr Film setzt ein, als Waris im Alter von 13 Jahren an einen wesentlich älteren Mann zwangsverheiratet werden soll und daraufhin die Flucht ergreift. Ganz allein macht sich das Mädchen auf die beschwerliche Reise durch die Wüste nach Mogadischu zu Verwandten, die ihr eine Anstellung als Dienstmädchen in der somalischen Botschaft in London verschaffen. Ihr Leben in Freiheit beginnt jedoch erst, als bei Ausbruch des Bürgerkriegs in Somalia das Konsulat geschlossen wird. Waris beschließt, in London zu bleiben, nicht ahnend, dass ihre Papiere nicht mehr gültig sind. Zunächst obdachlos und einsam, sucht sich die inzwischen 18-Jährige Hilfe. In der quirligen Verkäuferin Marylin findet sie eine Freundin, die ein großes Herz hat, sie in ihrem kleinen Zimmer aufnimmt und ihr sogar einen Putzjob in einem Fast-Food-Restaurant vermittelt. Dort wird Waris eines Tages vom Star-Fotografen Terence Donovan als Model entdeckt.
Unterhaltungsfilm mit ernstem Thema
Dem kometenhaften Aufstieg Diries in der Modewelt gibt Hormann mit vielen glamourösen Bildern weitaus mehr Raum als dem Leben des Mädchens in Afrika im Kreise seiner Familie. Überhaupt entspricht der Regiestil den Ansprüchen des kommerziellen Unterhaltungskinos: Die Bilder sind oft mit einem emotionalen
Soundtrack unterlegt, auch an einer Love-Story darf es nicht fehlen und Afrika wird klischeehaft in schöne Landschaftspanoramen wie aus einem Reisekatalog gebannt. Trotz solcher Schwächen wird
Wüstenblume seinem ernsten Thema, der Genitalverstümmelung, aber gerecht. Denn der dramaturgische Höhepunkt ist nicht erreicht, als Waris reich und berühmt ist, sondern als sie gegen die genitale Verstümmelung protestiert.
Geschichte einer Emanzipation
Recht genau zeichnet der Film dabei die innere Entwicklung der Heldin nach, die sich in
Rückblenden an ihre Kindheit in Somalia erinnert: Anfangs ahnt sie nicht, dass es überhaupt unbeschnittene Frauen gibt. Das wird ihr erst bewusst, als sie in einem vertraulichen Moment mit ihrer Freundin Marylin darüber spricht und diese ihr als Beweis ihr Geschlecht zeigt. Diese Schlüsselszene hat Hormann allerdings – wahrscheinlich aus dramaturgischen Gründen – erfunden. Die reale Marylin ist laut Buchvorlage eine schwarze Afrikanerin und mitnichten so überdreht wie im Film. Die Filmfigur Marylin dient der zurückhaltenden Waris Dirie als Spiegelbild und zeigt ihr anhand einer weißen Europäerin ein anderes weibliches Selbstverständnis und Leben. Dirie selbst entwickelt im Film vor allem über das Modeln ein anderes Selbstbewusstsein als Frau und ein neues Körpergefühl, das sie wohl auch darin erstarken lässt, eines Tages öffentlich über ihre genitale Verstümmelung zu reden.
Mode – ein hartes Geschäft
So sehr Sherry Hormann auch der Faszination
der Modewelt erliegt, – sie verklärt sie zumindest nicht gänzlich, sondern gewährt auch Einblicke in eine Branche, bei der sich alles ums Geld dreht. Das bekommt Waris zu spüren, als sie über Nacht als Mannequin gefragt ist, aber als illegale Einwanderin ohne gültigen Pass nicht reisen kann. Ihre Agentin setzt sie massiv unter Druck. Deutlich wird, dass nur ihr Aussehen, nicht aber ihre persönliche Notlage interessiert. Waris bleibt nur die Möglichkeit, eine Scheinehe mit einem Briten einzugehen, um an die notwendigen Papiere zu gelangen. Doch als ihr Mann zudringlich wird, stellt sie das vor neue Probleme.
Bilder einer Tortur
Die fürchterliche Szene, in der die "Mörderin" – wie Dirie sie in ihrem Buch nennt – mit einer Rasierklinge unter den Schreien und Tränen des Mädchens seine Klitoris und Schamlippen wegschneidet, spart sich der Film bis kurz vor Schluss auf. So schwer es auch fällt, diesen beängstigend authentisch wirkenden Bildern zu folgen, so unverzichtbar sind sie doch, um den unermesslichen Schmerz erahnen zu lassen. Dabei verzichtet
Wüstenblume darauf, die "Beschneidung" explizit zu zeigen. Die
Großaufnahmen des sich verzweifelt wehrenden Mädchens, das von der eigenen Mutter festgehalten wird, sprechen für sich. Der Film lässt die Zuschauer/innen gleichwohl allein mit der schockierenden Tatsache, dass Frauen an diesem blutigen Ritual festhalten, auch wenn klar ist, dass die Nomadinnen an patriarchalische Strukturen gebunden sind. Dagegen entwirft der senegalesische Regisseur Ousmane Sembène ein differenzierteres Afrika-Bild in seinem Film
Moolaadé – Bann der Hoffnung (Moolaadé, Senegal, Frankreich, Burkina Faso, Marokko, Tunesien, Kamerum 2004), der ebenfalls das Ritual der weiblichen Genitalverstümmelung anprangert. In
Moolaadé – Bann der Hoffnung solidarisiert sich eine willensstarke Frau mit vier Mädchen, die vor ihren Beschneiderinnen geflohen sind. Zu Hilfe kommt ihr dabei ein Schutzrecht, das dem Asylrecht vergleichbar ist. Frauen, die couragiert gegen das Patriarchat aufbegehren – sie gibt es offenbar auch in Afrika.
Autor/in: Kirsten Liese, Publizistin mit den Schwerpunkten Film, Frauen und Musik., 27.08.2009
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