Hintergrund
Essen, Ernährung und Globalisierung im Film
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich der Müllberg in der Ecke der Lagerhalle als ein Berg aus Brot - tadellos, essbar, aber der Vernichtung anheim gegeben, weil kontinuierlich neues Brot nachproduziert wird und die alte Ware dann weichen muss. Überschuss und Entsorgung sind im Brotpreis inbegriffen. – Ein langer, blitzsauberer Gang, links und rechts Türen mit kleinen Guckfenstern. Als die Kamera durch eines der Fenster in den dahinter liegenden Wärme-Raum voller Plastikschubfächer blickt und das Licht eingeschaltet wird, erhebt sich bald ein tausendfaches, leises Piepsen. Eine Brüterei in der Steiermark stellt 400.000 Mastküken in der Woche her. "Es kann immer mal was schief gehen", sagt einer der Mitarbeiter und meint damit massenhaftes Sterben.
Überschuss und Entsorgung
Manchmal überschneiden sich die Bilder: Der schockierende Müllberg aus Brot, er ist sowohl in Valentin Thurns
Taste The Waste (Deutschland 2011) als auch in Erwin Wagenhofers
We Feed the World – Essen global (Österreich 2005) zu sehen. Die Tiere in der Mastanlage – nicht nur
We Feed the World, auch
Unser täglich Brot (Nikolaus Geyrhalter, Österreich 2005) fängt sie visuell ein. Aus solchen Überschneidungen sollte man jedoch nicht schließen, die in den vergangenen Jahren zahlreich entstandenen Dokumentar-, Spiel- und Essayfilme über Nahrungsmittelproduktion, Ernährung und Globalisierung ähnelten sich oder kreisten immer um die gleichen Probleme und Phänomene. Im Gegenteil.
Weites Erzählspektrum
Interessanterweise lässt sich das breite Spektrum von formalem Zugriff und erläuternder Argumentation
We Feed the World gerade anhand zweier der oben erwähnten Filme aufzeigen, die beide 2005 in Österreich entstanden sind: Wagenhofers und Geyrhalters
Unser täglich Brot. Während Wagenhofer in der Art einer klassischen
Dokumentation auf der ganzen Welt gesammelte Daten und Fakten durch eine schlüssige
Montage miteinander in Beziehung setzt, Interviewpassagen mit szenischen Einstellungen abwechselt und Texttafeln wie Wegweiser einsetzt, geht Geyrhalter in
Unser täglich Brot einen eher experimentellen Weg. Sein Film kommt ohne Worte, Texte und
Musik aus und verzichtet auf jede Erklärung. Lange Plansequenzen, kommentarlos aneinander montiert, zeigen maschinelle Arbeitsabläufe, Aufzucht- und Schlachteinrichtungen, ewiggleiche Handgriffe, die der effizienten Verwaltung der anfallenden Massen dienen, entfremdete Arbeit.
Dazwischen Arbeiter/innen, die ihr Pausenbrot verzehren und dabei in die Kamera blicken. Was mag in ihren Köpfen vorgehen? Mit der Zeit erlangen diese Szenen in ihrer monotonen Folge eine quasi sakrale Kraft, die vom Originalton brummender Maschinen, klappernder Gerätschaften und entfernten leisen Gemurmels noch verstärkt wird. Auf irritierende Weise wird der Filmtitel, der eine Zeile des Vaterunser zitiert, ästhetisch eingelöst. Ohne dass es dazu eines erläuternden Kommentars bedarf, formuliert sich nach und nach die Frage nach der ethischen Verantwortung für diese Art der Nahrungsmittelproduktion in den Köpfen der Zuschauenden.
Politische Argumentation
Allerdings stellt Geyrhalters Zugriff, der auf die Benennung globaler Zusammenhänge verzichtet, eine Ausnahme dar. Den weitaus größten Teil der filmischen Beschäftigungen mit dem Thema bilden konkret politisch argumentierende Dokumentationen. Mondovino – Die Welt des Weines (Mondovino, Jonathan Nossiter, USA, Frankreich, Argentinien, Italien 2004) beispielsweise spürt den Veränderungen nach, denen der Weinanbau in verschiedenen Regionen der Welt in den vergangenen 20 Jahren unterworfen war. Nossiters Argumentationsgang wirkt sprunghaft und assoziativ. In Interviews beklagen Weinbauern/innen und -experten/innen, wie die weltweite Homogenisierung des Anbaus und die Vereinheitlichung des Geschmacks alte Traditionen zerstört. Dabei zeichnet sich ein Muster der Profitmaximierung ab, das sich auf zahlreiche weitere Bereiche der Nahrungsmittelherstellung übertragen lässt: Der Wunsch, Lebensmittel massenhaft verfügbar zu haben, bedingt deren industrielle Fertigung. Und diese setzt Kriterien voraus, die sich weniger an Vielfalt und Geschmack, denn an möglichst effizienter Herstellungs- und Vertriebsweise orientieren.
Emotionale Manipulation
Ein in seiner Leidenschaftlichkeit kontroverses Beispiel, das diesen Zusammenhang illustriert, ist der Film
Darwins Alptraum (Darwin’s Nightmare, Hubert Sauper, Österreich, Frankreich, Belgien 2004), der die Fischindustrie Tansanias und den Waffenhandel Russlands zueinander in Beziehung setzt. Sauper sammelt mit der Handkamera Alltagseindrücke,
entlockt seinen Gesprächspartnern/innen Geheimnisse, stellt über kontrastierende Bilder Propagandalügen bloß. Seine
Montage macht aus der emotionalen Manipulation der Zuschauenden kein Hehl, denn sie will jene Ausbeutungsstruktur, die das Verhältnis der Industrienationen zu Afrika bestimmt – Waffen für Nahrung – nicht lediglich beschreiben, sie prangert sie an. Immer wieder auch stoßen diese Filme bei den Porträtierten auf Protest: So versuchte Dole Food mit allen Mitteln die Ausstrahlung von
Bananas!* (Schweden, Dänemark 2004) zu verhindern. Fredrik Gerttens Film dokumentiert den wegweisenden Gerichtsprozess, den nicaraguanische Plantagenarbeiter/innen gegen den Konzern anstrengten; sie waren durch den Einsatz eines Pestizides unfruchtbar geworden.
Globalisierung und Profitmaximierung
Unterhaltsame oder gar vergnügliche Filme zum Thema gibt es so gut wie keine. Das liegt in der Natur der Sache. Selbst angesichts der Kino-Dokumentation
Super Size Me (USA 2004), in der sich Filmemacher Morgan Spurlock einem schrecklichen Selbstversuch unterzieht und einen Monat lang ausschließlich bei McDonald’s isst, vergeht einem das Lachen rasch - und dies nicht zuletzt wegen der slapstickhaft illustrierten, comicartig leicht verdaulich aufbereiteten statistischen Informationen rund um das Thema
Übergewicht und Fast-Food-Produktion, die Versuchskaninchen Spurlock auf seinem Weg zur Fettleber einsammelt. Mit dem seltsam entfremdeten Verhältnis der US-Amerikaner zu ihren Nahrungsmitteln, das droht, die ganze westliche Welt zu ergreifen, beschäftigt sich auch das prominent besetzte Ensemble-Stück
Fast Food Nation (Richard Linklater, USA, Großbritannien 2006). Darin begibt sich der Marketingchef einer Fast-Food-Kette auf die Suche nach der Ursache eines Lebensmittelskandals – und gerät dabei auf einen Höllentrip, der ihn in unsaubere Fleischfabriken führt und mit den ungesicherten Arbeitsverhältnissen illegaler Immigranten/innen konfrontiert. Aber natürlich sind Globalisierung und Profitmaximierung keine neuen Erfindungen. Vor Augen führt einem dies der beeindruckende Essayfilm
Septemberweizen (BRD), in dem Peter Krieg die Getreidepolitik der USA von allen nur denkbaren Seiten beleuchtet, indem er eine enggeführte Text-Bildcollage aus Interviews, Beobachtungen sowie Nachrichtenmeldungen, letzere aus dem
Off, kreiert. Er stößt dabei auf die bekannten Ausbeutungsstrukturen und Nivellierungstendenzen. Abgesehen von seinem bemüht avantgardistischen Jazz-Impro-Score könnte dieser Film von heute sein. Entstanden ist er 1980.
Autor/in: Alexandra Seitz, freie Journalistin und Filmkritikerin, 18.08.2011
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