Tony Kushner (li) mit Steven Spielberg und Daniel Day-Lewis
Der 1956 in New York geborene und mehrfach ausgezeichnete Autor und Schriftsteller Tony Kushner erhielt für sein bekanntestes Theaterstück
Angels in America: A Gay Fantasia on National Themes unter anderem 1993 den Pulitzer-Preis. Zum Projekt
Lincoln (USA 2012) kam er durch Steven Spielberg, nachdem sich vor ihm andere Autoren/innen an einer Drehvorlage versucht hatten. Kushner hatte zuvor schon das Drehbuch zu Spielbergs Politthriller
München (Munich, USA 2005) verfasst. Sein Drehbuch für
Lincoln wurde bereits zweifach ausgezeichnet und 2013 für einen Golden Globe und einen BAFTA-Award nominiert.
Mister Kushner, ihr Buch basiert auf der Biografie Team of Rivals von Doris Kearns Goodwin – wie nähert man sich einer historischen Figur wie Lincoln an?
Ich habe natürlich dieses Buch gelesen, aber auch noch viele andere. Ich habe versucht, mir Lincoln als Person vorzustellen. Erst dann habe ich nach einem bestimmten Moment in seiner Karriere gesucht, aus dem man ein Drama machen kann.
Sie haben sich dann auf die letzten Monate seiner Karriere und seine wichtigste politische Entscheidung konzentriert.
Ich wollte nie eine typische Biografieverfilmung. Geburt, Leben, Tod – das war mir zu einfach. Die Struktur des Lebens ist nicht zwangsläufig dramatisch. Dramatisch wird ein Leben immer nur durch Entscheidungen. Mir ging es darum, eine zentrale Dialektik zu finden – einen Konflikt, um den es sich lohnt, eine Geschichte zu spinnen. Bei einem
Biopic muss man entweder fokussieren oder man hat am Ende einen Film ohne Spannungsbogen. Ich konzentrierte mich also genau auf den Moment in Lincolns Leben, in dem er in einem großen Konflikt steckte. Als ich den Fokus dann auf den Januar legte, vier Monate vor seinem Tod, wusste ich, dass ich genau die richtigen Fragen gefunden hatte. Hinzu kam, dass es somit nicht nur ein Film über Abraham Lincoln werden würde, sondern auch über das Repräsentantenhaus. Dieses zweite Standbein war mir wichtig. Nur zu erzählen, wie toll Lincoln war und dass er vor 150 Jahren umgebracht wurde, wäre ziemlich langweilig. Ich sah den Film als Chance, nicht nur über den Präsidenten zu reden, sondern auch darüber, wie Demokratie überhaupt funktioniert.
In Lincoln wird sehr viel geredet. Auf den ersten Blick passiert nicht viel. Wie haben sie es geschafft, trotzdem Spannung zu erzeugen?
Es ist ein Film über eine Wahl. Insofern gibt es von Anfang an eine Art Countdown vor einer großen Entscheidung. Das ist so eine Art goldene Hollywoodregel: Man arbeitet langsam auf einen großen Moment der Entscheidung hin. Da gibt es keine großen Unterschiede zwischen einem Sportstadion, einem Gerichtsgebäude oder eben dem Abgeordnetenhaus. Das Drama ist von Anfang an da. Ich als Drehbuchautor muss es nur noch richtig verpacken.
Der amtierende Präsident Barak Obama und Lincoln werden oft miteinander verglichen. Auch Obama hat gegen politische Widerstände zu kämpfen. Sehen sie Parallelen zwischen Präsident Lincoln und Präsident Obama?
Es ist immer unfair, egal wen, mit Abraham Lincoln zu vergleichen. Wir vergleichen ja auch niemanden mit Goethe, Mozart oder Shakespeare. Schillernde Persönlichkeiten eines solchen Ausmaßes sind immer etwas Besonderes. Obama gehört nicht zwangsläufig in diese Kategorie, aber er ist ein Mann von Größe und mit Anstand, Integrität und politischem Talent. Lincoln und Obama sind ähnlich fortschrittlich. Beide waren und sind brillante Taktiker. Obama versteht es zu verhandeln und mit einer unbeugsamen und sturen Opposition umzugehen. Er hat ein Gespür für Rhythmus und die Geschwindigkeit von Geschichte und Politik. Er weiß, wann es schnell gehen muss und wann er sich auch mal Zeit lassen kann. Für mich war es wie ein Geschenk, während der ersten vier Jahre von Obamas Präsidentschaft an einem Film über Abraham Lincoln zu arbeiten und diese Parallelen zu entdecken.
Hat ihre Beschäftigung mit Lincoln Ihre eigene Sicht auf die Politik verändert?
Ein Aspekt des Films ist Lincolns Auseinandersetzung mit der politischen Linken. Ich selbst bin linksliberal. Dieser Blickwinkel hat mir ein Gespür dafür gegeben, wie schwierig es im demokratischen Prozess überhaupt ist, eine Einigung zu erzielen. Solange es aber Bewegung in der politischen Diskussion gibt, solange gibt es auch Veränderungen. Manchmal braucht es eben den nötigen Druck von oben.
Was kann das heutige Filmpublikum von einer historischen Figur wie Abraham Lincoln lernen?
Es ist ein Film über die Regierung und den Staat, ein Film über die Grundmauern der Demokratie und darüber, wie Veränderungen in der Gesellschaft stattfinden. Das alles sind Dinge, die überall auf der Welt relevant sind. Das Thema "Sklaverei" ist zum Glück in den meisten Regionen von der Tagesordnung verschwunden. Aber Einwanderung und die Rechte von Einwanderern spielen beispielsweise noch immer eine große Rolle – auch in der Europäischen Union. Demokratie ist grundsätzlich eine sehr komplexe und komplizierte Sache. Im "Arabischen Frühling" zum Beispiel geht es um die grundlegende Frage, ob Demokratie überhaupt funktionieren kann. Ich hoffe, dass der Film die politischen Strukturen offenlegt, ohne zu verbergen, wie schmutzig und frustrierend Politik auch sein kann. Gerade heute sollten wir uns auch im Klaren darüber sein, wie sich eine Gesellschaft zusammensetzt, damit wir ein gerechtes und gleichwertiges Miteinander haben.