Rette sich, wer kann ...
Menschliches Verhalten in Extremsituationen
Passiert das für die Betroffenen Unfassbare, verwandeln sich manche Menschen auf wundersame Weise. In Extremsituationen, also auch bei Katastrophen, sind sie plötzlich nicht wiederzuerkennen, scheinen in ein anderes Korsett geschlüpft zu sein. Ist etwa die "ultima ratio", der Verstand, in solchen Situationen ausgeschaltet? Bestimmen dann einzig und allein noch das Gefühl und Reflexe unser Verhalten?
Wenn die "Schalter im Kopf" wie von Geisterhand ausrasten, spielt nicht nur die gesellschaftliche Stellung und Haltung eine Rolle. Selbst ein besonnener Mensch verfällt leicht in Panik, wenn es nur noch um das blanke Überleben geht. Todesangst lässt sich nicht rational erklären und auch nicht einfach verdrängen. Darüber hinaus hängt das doch sehr unterschiedliche Verhalten bei Katastrophen aber auch vom persönlichen Habitus, der eigenen Erziehung und Ausbildung, sowie dem sozialen Umfeld ab. Unselbstständige Menschen werden beispielsweise bei Tragödien schon deshalb anders reagieren, weil sie es nicht gelernt haben, selbst in Aktion zu treten oder ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. Auch die persönliche Tagesform und Konstitution spielt eine Rolle, die Stimmung schwankt bei jedem Menschen. Ist diese eher negativ, kann während eines unvorhergesehenen dramatischen Zwischenfalls das eigene Verhalten in Agonie und Depression ausarten, oder man rastet völlig aus. Menschen mit besonderer Charakterstärke und solche mit einem festen Willen lassen sich durch eine schlechte Tagesform nicht so leicht aus dem Konzept bringen wie psychisch labile und unsichere Personen. Es ist jedoch durchaus möglich, dass auch sie sich in unwägbaren Situationen radikal verändern, ohne dabei zum Schauspieler geworden zu sein.
Neben den bereits genannten gibt es noch weitere Faktoren, warum Menschen Ruhe bewahren, sich sammeln, anderen helfen oder hektisch werden, in Panik verfallen und kopflos direkt in den Tod laufen. Sind der Ehepartner, die Eltern bzw. Kinder, Freunde und sonstige nahe stehende Personen ebenfalls bei einer Katastrophe bedroht, verändert sich das Verhalten in besonders auffallender Weise. Man fühlt sich doppelt betroffen und mitverantwortlich für den Schutz und die Rettung der geliebten oder zumindest persönlich bekannten Menschen, selbst wenn kurz davor ein heftiger Streit die Harmonie getrübt oder erschüttert hat. Der leicht über die Lippen kommende Spruch "Rette sich, wer kann" erfährt so eine ganz andere Dimension. Es ist eben nicht so, dass das Gleichheitsprinzip in einer Extremsituation zutreffen würde, sondern viele Faktoren und Unwägbarkeiten wirken schicksalhaft zusammen und führen zum Überleben (im Rettungsboot) oder zum fatalen Untergang.
Autor/in: Andreas Lossau, 12.12.2006