Interview
Wichtig ist der Respekt ...
Ein Gespräch mit Tony Gatlif
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: Tony Gatlif
Nach Les Princes und Latcho Drom ist Gadjo Dilo der letzte Teil Ihrer "Zigeuner-Trilogie". Was reizt Sie an diesem doch sehr komplexen Thema?
Als ich 1983 Les Princes drehte, fühlte ich eine Art Mission. Es war mehr als der Beginn einer cinematografischen Karriere, ich musste den Film einfach machen, obwohl ich wusste, dass es schwierig sein würde, das Thema in den Griff zu bekommen und dem Zuschauer zu vermitteln.
Sie kamen aus Algerien nach Frankreich, haben Sie dieses Gefühl des Fremdseins in Ihren Filmen verarbeitet?
Ich habe mich schon 1981 in Corre Gitano zu meiner Zigeuner-Herkunft bekannt. Auch in Algerien war ich ein Fremder; ich gehöre zu einem Volk, das überall auf der Welt ausgegrenzt wird. Aber meine Filme sind nicht autobiografisch, ich erzähle nicht mein Leben. Ich empfinde mich mehr wie ein Anwalt, der einen Fall vertritt.
Würden Sie Gadjo Dilo als politischen Film bezeichnen?
Als Regisseur trägt man Verantwortung, egal welches Sujet man behandelt. Jeder Film, jedes Theaterstück sollte politisch sein, sonst hat man das Ziel verfehlt. Das heißt aber nicht, dass man eine Botschaft mit dem Holzhammer verabreicht oder sich einer Partei zugehörig fühlt und deren Ideologie verkauft. Politisch sein heißt für mich eine Vision, eine Idee in Bildern und Geschichte leinwandgerecht umzusetzen. Das kann die Liebe sein, der Alltag oder einfach eine Verrücktheit. Ich will mir nicht ständig den Kopf zerbrechen, sondern dem Leben einen Sinn geben. Das ist meine Motivation als Filmemacher.
Wie haben Sie die Mitwirkenden Ihres Films kennen gelernt und deren Vertrauen gewonnen?
Ich bin in Transsilvanien, der Walachei und in der Gegend von Bukarest herumgereist, bis ich diese außergewöhnlichen Menschen getroffen habe. Vor allem unser Kontakt zu der Dorfautorität Izidor war ein Glücksfall. Als Zigeuner kenne ich die Sprach- und Verhaltens-Codes, das erleichtert den Zugang, man wird wie ein Bruder oder Cousin betrachtet und akzeptiert. Bis auf kleine Abweichungen ist die Sprache der Roma überall gleich. Wichtig ist der Respekt. Wenn der nicht da ist, stößt man auf Granit. Ich habe erst die Leute gefunden und dadurch den Ort. Sie mussten nicht spielen, sondern sie konnten ganz natürlich sein und ihrem normalen Tagesablauf nachgehen, das schaffte Vertrauen zwischen uns. Da bis auf die beiden Hauptdarsteller Romain Duris und Rona Hartner alle Laien waren, erwies es sich als sinnvoll, in chronologischer Reihenfolge zu drehen, da man ihnen nur sehr schwer Zeitsprünge beim Drehen erklären kann.
Haben Sie keine Angst, dass der Zuschauer den Film teilweise als folkloristisch verstehen könnte oder Vorurteile bestätigt sieht?
Es ist alles authentisch, das Verhalten, die Kleidung, die Musik, die Häuser. Es gibt keine Folklore in Gadjo Dilo. Die Menschen singen, tanzen und trinken wirklich. Warum sollte ich das ändern?
Wie kamen Sie auf die Idee, den Spieß umzudrehen, als die Dorfbewohner den fremden Franzosen als Dieb verdächtigen, was man ihnen sonst gerne selbst anhängt?
Das war eine Schlüsselszene. Der Rollentausch war wie ein Befreiungsschlag, sonst betrachtet man die Roma immer als Eindringlinge.
Wie waren Ihre Erfahrungen in Rumänien? Ist der Rassismus immer noch so stark, wie Sie ihn zeigen?
Der Rassismus ist permanent zu spüren. Noch 1993 gab es ein Progrom. Die Rumänen waren lange vom Rest der Welt abgeschottet, das fördert natürlich den Hass auf alles Fremde. Ähnliche Tendenzen gibt es auch in Ungarn oder der Slowakei. Ich glaube, Rassismus ist dem menschlichen Charakter immanent, diese niedrigen Instinkte tragen wir in uns, nur durch Erziehung ändert sich unsere Denkweise. Und selbst dann ist der durch Kultur geprägte, zivilisatorische Firnis auf unseren animalischen Trieben sehr dünn. In Mitteleuropa scheinen diese "Erbfeindschaften" überwunden, dennoch feiert ein Le Pen als politischer Rattenfänger Erfolge. Derzeit konzentrieren sich Ausgrenzung und Rassismus in Frankreich auf Araber. Wenn es die nicht mehr gibt, verlagern sich die Konflikte, kommt es im Extremfall vielleicht sogar wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Deutschen. Ich bin da nicht sehr optimistisch.
Autor/in: Margret Köhler, 12.12.2006