Er hat Oscars bekommen und nun das Bundesverdienstkreuz, ist vom Wunderkind Hollywoods zur moralischen Instanz aufgestiegen. In seinem bereits vor Kinostart mit großem Medieninteresse bedachten und kontrovers diskutierten Kriegsdrama
Der Soldat James Ryan ist er nun angetreten, dem Genre des Kriegsfilms eine neue Dimension zu eröffnen, das Grauen und die Schrecken des Krieges mit modernster Produktionstechnik erfahrbar zu machen. Stand der Irak-Krieg mit der zum Telespiel mutierten Virtualität seiner CNN- Bilder für das neue Antlitz von Krieg, geht es hier um das naturalistisch-realistische Abbild einer zum Mythos verklärten militärischen Operation, dem D-Day, der Invasion alliierter Truppen in der Normandie. Blass, ausgeblichen sind die Farben des Sternenbanners im ersten Bild; ein alter Mann steht zwischen den akkuraten, nicht enden wollenden Reihen mit weißen Grabkreuzen und weint. Rückblende: Omaha Beach, 6. Juni 1944. Eintauchen in das totale Chaos; nicht abreißendes Stakkato von Maschinengewehrfeuer, Panzerfäusten und explodierenden Minen, schreiende, kotzende, blutende Männer in den Amphibienfahrzeugen, abgerissene Gliedmaßen, herausquellende Gedärme. Die Handkamera zuckt und rast über das Schlachtfeld, bleibt in Augen- und Kniehöhe, liefert keine Übersicht, gewährt keine Distanz. Ein marzialisches Gemetzel mit einem schier unerschöpflichen Aufgebot an Menschen und Material, verzweifelt, grausam und blutig.
Der Spielbergsche Ehrgeiz, den Zuschauer um jeden Preis einzuverleiben, teilnehmen zu lassen an diesem Gemetzel, wird durch eine perfekt ausgeklügelte Bild-, Farb- und Tondramaturgie erfüllt; dem infernalischen Getöse folgt die plötzliche Stille, die dunkel-blaustichigen Bilder des Angriffs wechseln zu dunkelrot-blutig gefärbten des Wassers, am Ende ein memento- mori von toten Soldaten und Fischen. Diese furiose Ouvertüre enthält bereits alle erzählerischen und stilistischen Elemente des Films, geht es ihm im Kern doch um die Darstellung der Unausweichlichkeit des Kampfes auf Leben und Tod, um den Beweis der kriegerischen Grundregel, dass Töten zum Handwerk und Getötetwerden zur Pflicht eines Soldaten gehöre. Ein Manko des Films ist das Fehlen einer kritisch-reflektierenden Auseinandersetzung mit den politischen, ökonomischen und kulturellen Hintergründen des Krieges. Auf der Strecke bleiben auch die humanen und moralischen Orientierungen und Übereinkünfte, die zivilisatorischen Grundfesten: "Je mehr ich töte, desto mehr entferne ich mich von zuhause", erkennt denn auch John Miller, der Captain jener Truppe junger GI's, die sich auf die Suche nach James Ryan machen, einem jungen Soldaten, dessen drei Brüder im Krieg gefallen sind und der deshalb nach Hause zurückkehren soll. Schlicht ist diese "Stoßtrupp-mit-gefährlicher-Mission"-Story, konventionell und ganz im gewohnten Rahmen des Kriegsfilm-Genres – seltsam kontrastierend mit dem verstörenden Getöse des Anfangs, das noch keine Helden kannte. Nur minimal charakterisiert werden die Figuren, ihre Beziehungen zueinander. So bleiben sie eigentümlich fremd, lassen unberührt und halten den Zuschauer auf Distanz, funktionieren allein als Träger von Haltungen, von Überzeugungen. Hierbei kommen Klischees nicht zu kurz, darf neben dem idealtypischen Durchschnittsamerikaner in Gestalt des Captains der schmächtige, hehrem Humanismus verpflichtete Intellektuelle ebenso wenig fehlen wie der gottesfürchtige Scharfschütze oder der "Fuck Hitler" skandierende, bigotte deutsche Soldat. Doch hat ein Spielfilm über den Zweiten Weltkrieg für die heutigen Zuschauer nicht wesentlich mehr zu leisten, als nur Helden und Stereotype vorzustellen?
Wie aber kann Mann angesichts des Grauens 'anständig' bleiben, was ist ein Mensch, eine Idee 'wert'? Mit dicken Ausrufezeichen lehrt Meister Spielberg Moral: Die heute Lebenden haben jenen für die Freiheit Gestorbenen Achtung zu zollen und sind ihren Vorfahren gegenüber verpflichtet, etwas aus ihrem Leben zu machen. Konservativ sei der Film, haben denn auch amerikanische Kritiker ausgemacht, transportiert er doch vor allem die Einsicht, dass getan werden musste, was eben zu tun war. So fragt auch der als Berater fungierende Historiker Stephen E. Ambrose, was denn ohne die Risikobereitschaft der amerikanischen Soldaten und bei einem Fehlschlag der Landung am Omaha Beach gewesen wäre.
Spielbergs Ehrgeiz galt der sorgfältigen und authentischen Re-Inszenierung des D-Days. Alles, so haben die befragten Veteranen versichert, stimmt bis ins kleinste Detail: die Kleidung, die Waffen, die Sprache, die Beziehungen zwischen den Männern. Doch was vermittelt der Film jenen, die nicht dabei gewesen sind, außer der Tautologie, dass die Schrecken des Krieges schrecklich sind? Von den historischen Hintergründen, von den gemeinsamen Plänen der Alliierten, das besetzte Europa endlich von der Diktatur Hitler-Deutschlands zu befreien, erfährt man jedenfalls nichts. Hier wäre mehr politischer Background und weniger blutige Direktheit erhellender gewesen.
Autor/in: Frauke Wiegmann, Michael Conrad, 01.10.1998