Vor drei Jahren bekannte der damals knapp 30-jährige Regisseur Todd Solondz, der mit seinem Spielfilmdebüt
Willkommen im Tollhaus international große Aufmerksamkeit erregt hatte: "Der Film ist eine Komödie, weil das die einzige mir bekannte Form ist, mit entsetzlichen Qualen umzugehen." Sein neues Werk
Happiness erweckt nicht den Anschein, als ob die Qualen weniger geworden wären. Statt dessen legt dieser Film die Vermutung nahe, dass der Regisseur und Drehbuchautor die Beschädigungen seiner Kindheit in ein äußerst sensibles Sensorium für ein breites Spektrum menschlicher Verhaltensweisen umwandeln konnte und die Ebene des Autobiografischen hinter sich gelassen hat. Die Welt seiner Kindheit bestand für Solondz nach eigener Aussage aus den "soap operas" des Fernsehens.
Von Ferne erinnert auch
Happiness mit seinen vielen verzweigten Geschichten rund um die Familie Jordan, mit seinen beschränkten Schauplätzen New Jersey und Florida und nicht zuletzt durch die visuelle Umsetzung an eine "soap opera". Mal folgt die Kamera dem tristen Leben der alten Jordans, die in Florida eigentlich ihren Lebensabend genießen wollten, mal ist sie bei den drei Töchtern Trish, Helen und Joy zu Gast und ihren Männern, ihrer Familie, ihren Bekanntschaften oder Nachbarn. Ab und zu ist sogar die "Easy-going"-Musik der "soap operas" zu hören – und doch ist alles vollkommen anders! Während man dort in Windeseile von einem nichts sagenden Gesicht zum nächsten eilt, Probleme allenfalls an der Oberfläche sanft kitzelt, verharrt die Kamera in
Happiness, und der Zuschauer bekommt zu sehen, wie sich ein Mensch durch seine Probleme verändert, wie sie seine Haltung, seine Stimme, seinen Gesichtsausdruck beeinflussen. Das Kino von Solondz entspricht nicht dem, was man sonst aus den USA zu sehen gewohnt ist. Es ist radikal in der Beobachtung und Darstellung menschlicher Schwächen und Grausamkeiten, wütend in der Erinnerung an eigene, beschädigte Kindheit, penibel genau in der Spezifizierung seiner Charaktere und – man will es kaum glauben – zudem auch noch ausgesprochen komisch.
Happiness hat 1998 in Cannes den Kritikerpreis erhalten, und das Drehbuch wurde für den Golden Globe nominiert.
Von der speziellen Komik in diesem Film sollte sich jeder selbst ein Bild machen, denn mit dem gängigen Begriff 'Humor' hat sie nicht viel zu tun, dafür liegen Lachen und Entsetzen bei Solondz viel zu nahe beieinander, wie in der trostlosen Geschichte von Helen Jordans sexuell völlig frustriertem Nachbarn, der in seinem Liebesbegehren immer an die falsche Frau gerät. Das ist komisch und tragisch zugleich, denn der Mann ist zwar ein Widerling (nebenbei bemerkt: die Schauspieler in
Happiness sind phänomenal), aber der Regisseur zeigt ihn mit allen seinen menschlichen Facetten auch in seiner Einsamkeit, in seinem Hoffen und Scheitern. Besonders bitter wird
Happiness, in dem es dem Titel zufolge eigentlich um das Glück (in der Familie) geht, wenn Bill, der Ehemann von Trish Jordan, Vater dreier Kinder und von Beruf Psychiater, den Schulfreunden des Sohnes auflauert. So versetzt er einmal die Familie und ein Opfer in einen Tiefschlaf, um sich ungestört an dem Objekt seiner perversen Begierde zu vergehen. Aber selbst dieser Szene, in der ein banales Tunfisch-Sandwich über Wohl und Wehe des Jungen und die lodernde Gier eines scheinbar biederen Mannes entscheiden wird, haftet noch etwas Tragikomisches an. Später, als der Mann vor den Trümmern seines Lebens sitzt, gibt es einen sehr intimen, spannenden Moment, als der pubertierende Sohn das Gespräch mit dem Vater sucht. "Hast du mich auch vergewaltigt?" Als der Vater dies verneint, fragt der Sohn ihn unter Tränen: "Warum mich nicht?" In solchen und anderen Szenen, die mit ambivalenten Gefühlen spielen, macht es der Regisseur seinen Zuschauern nicht leicht. Er mutet ihnen zu, von einer unbeweglichen Kamera gefilmte lange Sequenzen ohne schützende musikalische Untermalung auszuhalten. Sie müssen das auch aushalten und auf der Leinwand erleben, was manchmal hinter den Fassaden eines scheinbaren Glücks in der Familie an Wirklichkeit, an Haken, Kanten, Spannungen und unlösbaren Widersprüchen verborgen ist – um etwas anderes dabei zu gewinnen. Um es mit Gustave Flaubert zu sagen, einem Bruder im Geiste: Zu gewinnen ist "das Wahre, das nie deutlicher sichtbar wird als in der nüchternen Schaustellung des menschlichen Elends!"
Autor/in: Claudia Brenneisen, 01.02.1999