Interview
Es lohnt sich, genau hinzuschauen...
Ein Gespräch mit Andreas Dresen
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: Andreas Dresen
Nachtgestalten handelt von Menschen am Rande der Gesellschaft. Haben Sie ein Faible für Außenseiter?
Ich halte es für sehr wichtig, über sie zu erzählen. Sie sind in unserer, auf Sensationen ausgerichteten Medienlandschaft unterrepräsentiert. Eine Zeit lang dominierten nur Filme über die deutsche Mittelschicht in ihren schicken Designer-Wohnungen. Ich kenne niemanden, der in diesem Ambiente lebt. Die sozialen Spannungen in der Gesellschaft werden immer größer, die Schere zwischen Arm und Reich klafft auseinander. Da lohnt es sich, genau hinzuschauen. Man kann nicht nur diejenigen zeigen, denen es gut geht – die Spezies der Gewinner in Bankhäusern oder Chefetagen. Wir haben vier Millionen Arbeitslose, das sollte man nicht vergessen.
Was war der Ausgangspunkt?
Bei meinen Recherchen für einen Dokumentarfilm 1993 stieß ich auf eine ganz andere Problematik. Es gibt sehr viele Eltern aus armen oder politisch unterdrückten Staaten, die ihre Kinder in ein Flugzeug nach Deutschland setzen, damit sie dort Asyl erhalten und eine bessere Zukunft haben. Wenn die am Flughafen ankommen, sind sie ganz allein auf sich gestellt, dem Wohlwollen von Fremden ausgeliefert. Ich fand es spannend, einen dem Erfolg nachhetzenden Menschen wie Peschke auf so ein Kind treffen zu lassen. Aus dieser Geschichte entwickelte sich dann die Odyssee einiger Menschen durch die Berliner Nacht.
Könnte man Ihren Film als politisch bezeichnen?
Wir müssen aufpassen, dass wir den Zuschauer nicht verschre-cken mit diesem Begriff. Wir dürfen ihn nicht politisch-didaktisch belehren über den Zustand der ach so bösen Welt, sondern sollten mit sinnlichen Geschichten überzeugen, die Leinwand tauglich sind. Im Kino möchte ich lachen und weinen, ein ganz starkes Gefühl im Magen haben. Wenn ein Film die Leute mit seinen kraftvollen Momenten packt, dann kommt die Politik automatisch mit hinein. Aber zuallererst geht es um Menschen und ihre Schicksale. Dem deutschen Film würde ein Trend zur Realität nach der leichten Komödien-Welle gut tun. Ich habe nichts gegen Komödien, aber die sollten nicht nur flach sein, sondern sich auch um existenzielle Dinge drehen. Das Leben besteht nicht nur aus Fröhlichkeit und Gutdraufsein.
Haben Sie deshalb auch auf eine bestimmte 'Buntheit' der Bilder verzichtet?
Wir haben mit Bleichbadüberbrückung gearbeitet, die Farben wirken dadurch weniger knallbunt und geschönt, dafür aber umso kontrastreicher.
Ist Ihr Berlin-Bild realistisch?
Ich konzentriere mich auf einen bestimmten Ausschnitt, einen Teil dieser Stadt. Nicht auf die Schönen und Reichen, sondern auf diejenigen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen, die aus dem sozialen Netz herausfallen. Deshalb vernachlässige ich den pittoresken und touristischen Aspekt, bei mir gibt es kein Brandenburger Tor oder das Adlon, sondern die Absteige. Berlin ist zurzeit ein sehr interessanter Ort, erinnert an einen Hexenkessel. Hier prallen Ost und West, Nord und Süd, Oben und Unten aufeinander. Die ganze Stadt ähnelt einer Baustelle, überall wird gebaggert; das weckt Aggressionen und Konfliktbereitschaft. Diese Stimmung hoffe ich, aufgefangen und vermittelt zu haben.
Inwieweit orientieren Sie sich am Dogma-Prinzip?
Mir gefällt die erfrischende Art dieser Dogma-Filme, dieser unkonventionelle Zugriff auf die Wirklichkeit, dass man sich darauf besinnt, was man zum Filmemachen wirklich braucht: Schauspieler, eine Kamera, ein Tonbandgerät und Fantasie. Allerdings muss man dafür kein Dogma aufstellen. Wir versuchten einen ähnlichen, vielleicht nicht ganz so drastischen Weg zu gehen, durch eine Reduktion von Technik mehr Authentizität zu erreichen.
Autor/in: Margret Köhler, 09.08.1999