Im Frühjahr 1978 entführten Mitglieder der italienischen linksextremen Terror-Organisation
Rote Brigaden (Brigate Rosse) Aldo Moro, den Vorsitzenden der konservativen Partei Democrazia Cristiana. 55 Tage lang hielten die Terroristen/innen den Politiker in einer Wohnung gefangen. Als deutlich wurde, dass die italienische Regierung nicht auf ihre Forderung nach der Freilassung ideologisch gleichgesinnter Häftlinge eingehen würde, erschossen sie Moro.
Kurz nach der kontrovers geführten Begnadigungsdebatte in Deutschland über die vorgezogene Haftentlassung des ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar, gegen die sich Bundespräsident Horst Köhler letztlich entschied, kommt ein Film über das große italienische Terror-Trauma in die Kinos. Der "Italienische Frühling" 1978 markierte mit der Verschleppung und Ermordung Aldo Moros das blutige Ende der 1968er-Revolutionsutopien und erschütterte gleichzeitig das Vertrauen vieler Italiener in ihren Staat: Die Regierung engagierte sich kaum für eine Freilassung Moros; zahlreiche Verschwörungstheorien ranken sich seither um die damaligen Ereignisse: So soll der Tod Moros sowohl konservativen Regierungsmitgliedern als auch den Geheimdiensten entgegengekommen sein, da der liberale Christdemokrat auf politische Stabilisierung setzte und die zu jener Zeit politisch starken und umstrittenen Kommunisten in die Regierungsarbeit miteinbeziehen wollte.
Hintergrundinformationen und historische Fakten über das Attentat auf Moro enthält
Buongiorno, notte – Der Fall Aldo Moro allerdings kaum. Angelehnt an das Buch
Der Gefangene von Anna Laura Braghetti, einem ehemaligen Mitglied der
Roten Brigaden, inszeniert Marco Bellocchio ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel über das Alltagsleben der Terroristen/innen. Aus der Sicht der fiktiven Figur Chiara zeigt er die zunehmende Angespanntheit und innere Zerrissenheit der Entführer/innen, die Zweifel an ihrer Vorgehensweise und die Auseinandersetzungen, als sie die Kontrolle über die Situation verlieren. Besonders Chiara sympathisiert mit Moro, ist insgeheim zutiefst berührt von den Briefen, mit denen sich dieser in der Not an seine Familie, Parteifreunde und sogar an den Papst wendet. Zu stark jedoch konzentriert sich der Film auf die emotionale Bestandsaufnahme der Zustände in der Entführerwohnung. Die weit reichende gesellschaftliche Bedeutung des Terroraktes reflektieren lediglich Original-Nachrichtenbilder und die kritischen Stellungnahmen eines Bürokollegen von Chiara, die zur Tarnung ihrer Tätigkeit als Bibliothekarin weiter nachgeht. Wiederholt deuten Handlungselemente an, dass ein anderer Verlauf der Geschichte möglich gewesen wäre: In fast surrealen Szenen erträumt sich Chiara ein fröhliches Fest kommunistischer Veteranen und die Flucht Moros. Mit diesen Sequenzen verleiht der Film dem bis heute nicht gänzlich aufgeklärten, tragischen und gewaltsamen realen Ausgang der Entführung einen unangemessen versöhnlichen und verharmlosenden Charakter. Für den Schulunterricht kann
Buongiorno, notte – Der Fall Aldo Moro dennoch eine anregende Diskussionsgrundlage sein, sollte jedoch unbedingt durch faktische Materialien ergänzt werden.
Autor/in: Stefanie Zobl, 13.06.2007