Am Rande einer maroden Industriestadt befindet sich ein militärisch abgeriegeltes Gebiet, das als "Zone" bezeichnet wird. Ein mysteriöser Vorfall hat dieses Areal unbewohnbar gemacht. Der Zutritt ist strengstens verboten, doch die ortskundige Titelfigur führt als bezahlter Lotse zwei Intellektuelle – einen Wissenschaftler und einen Schriftsteller – in die Zone. Ihr Ziel ist ein magisches Zimmer, in dem sich angeblich geheimste Wünsche erfüllen sollen. Doch auf dem Weg dorthin lauern tödliche Fallen. Während ihrer gefährlichen Expedition beginnen die Männer ihre Motive, die sie in die Zone führten, zu hinterfragen. Sie reflektieren ihre Lebensansichten und Hoffnungen und begeben sich so auf eine innere Reise, die einen Reifungsprozess einleitet.
Ort und Zeit sind in
Stalker nicht näher bestimmt. Die reale Welt zeigt sich als lebensfeindliche Umgebung in
Schwarz-Weiß mit einem leichten Bromstich. Erst beim Betreten der Zone werden die Bilder farbig. In langen Kameraeinstellungen und
Plansequenzen wird ein
postapokalyptisches Terrain durchstreift, das sich die tiefgrüne Vegetation allmählich zurückerobert. Die
ruhige Kamera folgt den Protagonisten, verweilt in
Nahaufnahmen auf ihren Gesichtern und schwenkt in Richtung ihrer Blicke. Weder Actionszenen noch
Spezialeffekte lenken von ihrem Vorwärtstasten ab – die allgegenwärtige tödliche Gefahr bleibt stets abstrakt. Der Zerfall wird in
Stalker poetisch und metaphernreich ästhetisiert: In überfluteten Ruinen zeugen Münzen, Spritzen, Waffen und Heiligenbildchen von einer vergangenen Zivilisation. Die Mischung von Farb- und Schwarz-Weiß-
Sequenzen sorgen für vieldeutige Stimmungen aus Traum und Vision.
Vordergründig wirkt
Stalker wie eine Auseinandersetzung mit der Apokalypse, als Folge eines Reaktorunglücks oder Atomschlags. Doch die Ursachen der Entstehung der Zone lässt der russische Regisseur Andrej Tarkowskij in seinem fünften Film schon im
Vorspann außen vor. Er begreift die Zone als Metapher für das Leben. Seine drei Protagonisten, eine Art Trias von Religion, Kunst und Wissenschaft, verfolgen nicht nur unterschiedliche Ziele, sie sind auch Prototypen für gesellschaftliche Bereiche, die im Unterricht genauer herausgearbeitet werden können. Spannend sind nicht nur ihre Weltbilder und Einsichten, die sie auf dem Weg zum "Raum der Wünsche" gewinnen, sondern auch, wie sich die als Vorlage dienende
Science-Fiction-Geschichte der Brüder Strugazki in eine philosophische Exkursion verwandelt. Metaphernreich bietet Stalker viele existenzielle Diskussionsthemen, etwa das Verhältnis von Natur und Mensch sowie die heutige Rolle des Glaubens.
Autor/in: Cristina Moles Kaupp, 02.03.2016
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