In einer Hochhaussiedlung am Rande Londons lebt ein Taxifahrer zusammen mit seiner Frau und den beiden bereits erwachsenen Kindern auf engstem Raum. Das Geld reicht immer gerade zum Nötigsten, die Gefühle haben sich in der aufreibenden Alltagsroutine abgenutzt, die Nerven liegen blank und die Spannungen zwischen den Eheleuten und den Generationen scheinen unüberbrückbar. Während die frustrierte Tochter wenigstens noch in einem Altersheim putzt, verweigert der Sohn jegliche Arbeit, sitzt als Couch-Potato ständig vor der Glotze und tyrannisiert den Rest der Familie. Als er nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wird, überwinden die anderen ihre Schutzpanzer und bewegen sich langsam wieder aufeinander zu. – Mike Leigh hat sein neues Sozialdrama aus dem wenig spektakulären Alltag einer britischen Arbeiterfamilie mit vielsagenden Blicken, subtiler Körpersprache der Protagonisten und mit vielen Großaufnahmen derart intensiv in Szene gesetzt, dass man es fast schon als wohltuende Abwechslung oder gar Befreiung empfindet, wenn die Kinder ihre Eltern wieder einmal in rüdestem Umgangston beschimpfen. Trotz schauspielerischer Höchstleistungen und allzeit stimmigem Milieu ist auch das Publikum gefordert, sich über zwei Stunden lang dem Psychostress auszusetzen, der sinnlich nacherlebbar permanent an den Seelen der Figuren nagt, bis sich gegen Ende hin ein kleiner Hoffnungsschimmer zeigt. Doch wenn es bei den Familienmitgliedern im Film um Alles oder Nichts geht, wäre weniger nicht mehr gewesen.
Autor/in: Holger Twele, 01.01.2003