Jochen Epstein und Adam Rose, zwei jüdische Holocaust-Überlebende, verschlägt es zufällig an Heiligabend in die Kirche. Dort entdecken sie ihren einstigen KZ-Peiniger Giesser im Gewand des Pfarrers wieder. Gemeinsam mit Adams Bruder Karl suchen die Opfer am nächsten Morgen die persönliche Konfrontation mit dem einstigen SS-Hauptsturmbandführer. Es entbrennt ein bitterer Streit auf Leben und Tod. – Ob Epsteins Nacht möglicherweise indirekt einen Beitrag zur "teilweise verqueren political-correctness-Diskussion zu Walser oder FDP" leistet, wie Regisseur Urs Egger in einem Interview sagte, sollten die Zuschauer für sich selbst entscheiden. Mit seiner moralischen Forderung nach Gerechtigkeit und Sühne für Millionen Holocaust-Opfer knüpft das Kammerspiel vielmehr an Wolfgang Staudtes Nachkriegsdrama Die Mörder sind unter uns an. Wie in dem Defa-Film von 1946 geht es dabei vorrangig um die Frage von Selbstjustiz, allerdings mit unterschiedlichen Konsequenzen. Die Frage nach der Legitimation privater Rache bleibt trotzdem offen, zumal Egger ein differenziertes Bild seines Titelhelden zeichnet: Epstein ist nicht nur Opfer, sondern auch Täter. In einer ausweglosen Lage hatte er sich im KZ auf den grausamen Deal eingelassen, das Leben einer Freundin zu opfern, um seinen besten Freund zu retten. Die Dialoge in der Schlüsselszene wirken zwar bisweilen etwas hölzern. Dennoch fesselt das filmische Kammerspiel dank einer spannenden Dramaturgie und schauspielerischen Glanzleistungen von Bruno Ganz, Mario Adorf, Günter Lamprecht und Otto Tausig.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.11.2002