Der pensionierte Militärpolizist Hank Deerfield ist ein Mann von altem Schrot und Korn. Er trägt die Haare streng gescheitelt, poliert jeden Abend seine Schuhe und hält auch sonst an den Tugenden seiner Militärzeit fest. Selbst dass sein älterer Sohn, ebenfalls Soldat, während seiner Dienstzeit ums Leben kam, konnte seine Treue zu Vaterland und Soldatenehre nicht erschüttern. Als der Hausmeister einer örtlichen Schule die amerikanische Nationalfahne versehentlich falsch herum hisst, erklärt Deerfield dem ahnungslosen Einwanderer dessen Missgeschick: Die umgedrehte Flagge ist in der militärischen Zeichensprache ein stummer Hilferuf, ein S.O.S. Am Ende des Films wird er selbst auf dieses Signal zurückgreifen und seiner gewandelten Sicht auf die nationale Lage einen symbolischen Ausdruck geben.
Wie schon in seinem Oscar-prämierten Ensemblefilm
L.A. Crash (USA 2004) bringt Autor und Regisseur Paul Haggis eine gesellschaftliche Parabel auf die Leinwand– dieses Mal in einer einzigen Figur konzentriert. Hank Deerfields jüngerer Sohn wird nach der Rückkehr aus dem Irak vermisst, was seinen Vater dazu veranlasst, auf eigene Faust zu ermitteln. Als Anhaltspunkte dienen ihm Fotos und Handy-Filme, die Mike während seiner Dienstzeit im Irak aufgenommen hat. Offenbar ist aus Deerfields charakterlich gefestigtem Sohn im Krieg ein anderer Mensch geworden – dieser Verdacht scheint sich endgültig zu bestätigen, als Mikes furchtbar entstellte Leiche nahe seines Heimatstützpunkts gefunden wird.
Die Suche nach den Mördern inszeniert Paul Haggis wie ein klassisches Genrestück, mit beinahe täglich wechselnden Verdächtigen. In diese packend inszenierte, aber letztlich konventionelle Thrillerhandlung ist das Charakterdrama eines zunehmend desillusionierten Patrioten eingelassen; entsprechend werfen die kriminalistischen Ermittlungen vor allem moralische Fragen zum Irakkrieg und seinen Folgen auf. Es geht dabei um die Verrohung der Soldaten im Kampfeinsatz und um nach Hause mitgebrachte Traumata, aber auch um staatliche Vertuschungsstrategien an der "Heimatfront". Anknüpfend an diese ethische Problematik im Filmstoff lassen sich auch die Paradoxien des "gerechtfertigten Krieges" diskutieren. Vor allem die schwierige Balance zwischen der Schonung der Zivilbevölkerung und dem Selbstschutz der Soldaten wird von Paul Haggis am einem eindrucksvollen Beispiel thematisiert: Am Steuer eines Militärfahrzeugs tötet Mike im Irak einen auf die Straße gelaufenen Jungen, weil ihm die Vorschriften verbieten, abzubremsen und aus dem Konvoi auszuscheren.
Autor/in: Michael Kohler, 05.03.2008
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