Eine Mutter fährt in Teheran mit ihrem Sohn zum Schwimmbad und streitet mit ihm über ihren Vater, von dem sie sich hat scheiden lassen. Der Junge wirft ihr vor, egoistisch gehandelt zu haben, nicht zuletzt, weil sie jetzt mit einem anderen Mann zusammenlebt. Auf ihrer weiteren Autofahrt nimmt die Mutter nacheinander ihre Schwester, eine Freundin, eine Prostituierte und eine strenggläubige alte Frau mit und befragt sie über ihre Ansichten zu Erziehung und Ehe, Liebe und Religion. Es entfalten sich zehn Episoden aus dem Leben iranischer Frauen, die in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft jeweils vor bestimmten Herausforderungen stehen und sich ihnen mit unterschiedlichen Haltungen stellen. – Das Besondere am jüngsten Werk des iranischen Regiegroßmeisters Abbas Kiarostami, der auch als Autor, Produzent, Kameramann und Cutter im Einsatz war: die Kamera bewegt sich nie aus dem Auto heraus und zeigt fast immer nur einen der beiden jeweiligen Passagiere. Mit diesem radikalen experimentellen Ansatz führt Kiarostami seine Ästhetik fort, sich als Regisseur so weit wie möglich zurückzunehmen. Indem die hochkonzentrierte Kameraführung Mutter und Sohn bis auf zwei Ausnahmen nur einzeln im Bild zeigt, wird die Isolation und Entfremdung zwischen beiden besonders sinnfällig. Die strenge Form fordert dem Zuschauer ein großes Maß an Geduld ab, belohnt ihn aber mit der Erfahrung, Einblicke in den Erlebnishorizont von Frauen in einem sehr stark islamisch geprägten Gemeinwesen erhalten zu haben. Frappierend ist insbesondere, wie der zwölfjährige Sohn nicht nur die Macho-Ansichten seines Vaters reproduziert, sondern mit einer abstoßenden Böswilligkeit der um eine unabhängige Position ringenden Mutter jeglichen Anspruch auf ein selbstbestimmtes Leben abspricht. Auch wenn die Inszenierung, die in ihrer Episodenstruktur an Arthur Schnitzlers berühmtes Bühnenstück "Der Reigen" und den darauf beruhenden Film erinnert, nicht die dramatische Verdichtung und emotionale Wucht des iranischen Frauendramas Der Kreis von Jafar Panahi erreicht, beweist Kiarostami mit diesem abermaligen Versuch, die Regeln des Erzählkinos zu hinterfragen und auszuweiten, dass er zu den führenden Autorenfilmern der Weltkinematographie gehört.
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.07.2003