Justin ist ein stiller, sanfter Grübler und Träumer, der die typischen Phasen von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit in der Pubertät durchlebt. Den alltäglichen Angriffen und Machtrangeleien seiner Mitmenschen kann der zurückhaltende Jugendliche wenig Widerstand entgegen setzen. Zur Beruhigung lutscht er an seinem Daumen. Mit dieser regressiven Angewohnheit hat der 17-Jährige selbst keine Probleme, doch sein Vater, sein jüngerer Bruder und sein Zahnarzt reden ihm ständig ins Gewissen. Nach einer gescheiterten Hypnosetherapie reagiert er aggressiv und verstört. Die Schulleiterin diagnostiziert eine Hyperaktivitätsstörung, woraufhin Justin Psychopharmaka erhält. Doch das Medikament verändert seine Persönlichkeit und der schüchterne junge Mann entwickelt sich zum selbstbewussten, ehrgeizigen Vorzeigeschüler, der rücksichtslos seine Ellbogen einsetzt, um Erfolg zu haben. Doch bald reift in Justin die Erkenntnis, dass ihm die Medikamente nur schaden. Nach einem Entzug beginnt seine eigentliche Identitätsfindung: Er versucht herauszufinden, wie die Anderen, insbesondere seine Eltern mit ihren Problemen umgehen.
Regisseur Mike Mills entwirft in seinem Debütfilm ein Gesellschaftsporträt, das die unterschiedlichen individuellen und gesellschaftlichen Einflüsse zeigt, die auf einen jungen Menschen wirken. Mit einer fast schon grotesken Geschichte und feiner Ironie kritisiert er eine Leistungsgesellschaft, die individuelle Besonderheiten und Authentizität nicht akzeptiert. Justins Liebenswürdigkeit und Friedfertigkeit werden dem Leistungsprinzip geopfert, schließlich soll der junge Mann mit seinem Erfolg auch den Narzissmus und die Eitelkeit seiner Erziehungsberechtigten bestätigen. Während seiner hindernisreichen Selbstfindung lernt Justin jedoch die Lebenslügen, geplatzten Träume, Zweifel und Unsicherheiten seiner Mitmenschen kennen und verstehen. Schließlich kehrt er wieder zum Ursprung seines Seelenfriedens, dem Daumenlutschen zurück, und macht die wertvolle Erfahrung, dass es immer Menschen geben wird, die ihn lieben und die selbst die ungewöhnlichsten Angewohnheiten akzeptieren. Erfrischend komisch und klug erzählt
Thumbsucker von den Unwegsamkeiten des Erwachsenwerdens und prangert ganz nebenbei die vorschnelle Diagnose "Hyperaktivität" an, wegen der besonders in Amerika unzählige Schulkinder mit Medikamenten behandelt und stigmatisiert werden.
Autor/in: Stefanie Zobl, 29.09.2006