Die zehnjährige Gulistan und ihr kleinerer Bruder Firat müssen mit ansehen, wie ihre Eltern von einem paramilitärischen Kommando erschossen werden. Eine Tante nimmt die verwaisten kurdischen Geschwister bei sich auf. Als diese spurlos verschwindet, sind die Kinder ganz auf sich gestellt. Sie werden obdachlos und schlagen sich auf der Straße durch. Als sie per Zufall den Mörder ihrer Eltern wieder sehen und in den Besitz seiner Pistole gelangen, scheint der Zeitpunkt für eine Rache gekommen. Aber Gulistan und Firat erreichen ihr Ziel ohne Gewalt - ganz so, wie sie es ein altes Märchen vom
Wolf mit der Glocke gelehrt hat.
Konsequent aus der Sicht der beiden Kinder und sehr realitätsnah schildert
Min Dît (zu Deutsch: Vor meinen Augen) die von willkürlicher militärischer Gewalt, Angst und Misstrauen geprägte Atmosphäre in den kurdisch besiedelten Gebieten der Osttürkei. Mit ruhig rhythmisierender
Montage, zurückhaltender
musikalischer Untermalung und klaren, einfachen Bildern zeichnet der kurdischstämmige Regisseur Miraz Bezar den schicksalhaften Weg seiner Protagonisten/innen nach. Seine trefflichen Kinder-Laiendarsteller/innen überzeugen mit ihrem authentischen Spiel, für die ihnen die zurückgenommene Inszenierung viel Raum gibt. Nebenhandlungen wie die um das Schicksal der spurlos verschwindenden Tante skizziert Bezar elliptisch.
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände zwischen türkischem Militär und der ethnischen Minderheit der Kurden in den 1990er-Jahren werden nur langsam aufgearbeitet. Als einer der ersten Filme zu der Kurdenproblematik in der Osttürkei ist
Min Dît für den Schulunterricht eine wertvolle Diskussionsgrundlage. Eine gute Kenntnis der türkischen Geschichte und der politischen Hintergründe sind allerdings Voraussetzung. Sie sollten vorab erarbeitet werden. Schüler/innen können in diesem Zusammenhang auch das Verhalten der Kinder bewerten und andere mögliche Reaktionsweisen diskutieren. Ferner kann im Unterricht das Leben von Straßenkindern thematisiert werden, die wie Gulistan und Firat Pfennigware verkaufen, in Ruinen leben und den Gefahren von Kriminalität und Prostitution ausgesetzt sind. In diesem Zusammenhang bieten sich auch Vergleiche mit der Situation verwahrlosten Kindern in anderen Ländern an, wie sie beispielsweise in
Maroa (Spanien, Venezuela 2005) von Solveig Hoogesteijn dargestellt wird.
Autor/in: Kirsten Liese, 16.04.2010
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