Die junge Israelin Yael Reuveny erforscht mit diesem persönlichen Dokumentarfilm die eigene Familiengeschichte. Im Mittelpunkt der jüdischen Familie Schwarz aus Wilna stand seit jeher ihr charismatischer Großonkel Feiv’ke. Überlebte er den Holocaust? Ein geplantes Treffen im polnischen Lodz fand nie statt, zurück blieb quälende Ungewissheit. Wie sich herausstellt, verwandelte er sich nach dem Krieg in den Deutschen Peter Schwarz. Ohne viel Aufsehen wurde er genau an dem Ort in Brandenburg, in dem er im Konzentrationslager gelitten hatte, sesshaft. Aus ehemaligen Aufsehern/innen wurden Nachbarn/innen, die in der DDR – statt über Vergangenes zu sprechen – alle zusammen ein "besseres Deutschland" aufbauen wollten. Die junge Israelin sucht und findet Nachbarn/innen und Weggefährten/innen, die sie unter Überwindung aller Sprachschranken befragt.
Vor dem Hintergrund dieser ungeheuerlichen Geschichte geht es Reuveny darum, welche Folgen die damaligen Ereignisse bis heute nach sich ziehen. Dazu sammelt sie auf israelischer wie auf deutscher Seite Reaktionen. Nach Abfolge der Generationen – Großeltern, Eltern, Enkel – ist der Film in drei Kapitel unterteilt, die auf beiden Seiten einen Bewusstseinswandel verdeutlichen, aber auch blinde Flecken offenbaren. Trotz der
farbgesättigten Aufnahmen hat sich der Film ganz den Grautönen verschrieben, aus denen die meisten Entscheidungen des Lebens nun mal bestehen. In ihren Gesprächen stellt Reveuny das Verstehen und Verzeihen, die Bewältigung der Trauer und vor allem das Ringen um einen möglichen Neuanfang in den Mittelpunkt.
Filmausschnitt "Schnee von gestern", © Film Kino Text
Trotz oder gerade wegen seiner persönlichen Ausgangsfrage gelingt es dem Film eindrücklich zu vermitteln, dass "Vergangenheitsbewältigung" – wenn auch mit anderen Vorzeichen – nicht nur in Deutschland stattfindet. Geschichtslehrer/innen können ihren Schülern/innen auf lebensnahe Weise deutlich machen, warum der Holocaust bis heute nicht "vergangen" ist. In Sozial- und Gemeinschaftskunde bietet der Film gute Anstöße, um den Weg Deutschlands von der Diktatur bis zur Demokratie nachzuvollziehen und dabei auch das neue jüdische Leben in Deutschland – die Regisseurin lebt, zum Unbehagen ihrer Familie, in Berlin – zu betrachten. Ob die Rede von einer Kollektivschuld legitim und sinnvoll ist und ob ein Verbrechen wie der Holocaust jemals verziehen werden kann, kann schließlich im Philosophieunterricht beziehungsweise in fächerübergreifenden Unterrichtseinheiten diskutiert werden.
Autor/in: Luc-Carolin Ziemann, 09.04.2014
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