Die erfolgreiche Reisejournalistin Eva opfert ihr ungebundenes Leben für eine Familie. Doch ihr Sohn Kevin bereitet ihr von Geburt an Probleme. Als Baby schreit er unentwegt, später verweigert er sich seiner Mutter, macht noch im Schulalter absichtlich in die Windeln und treibt einen Keil zwischen seine Eltern. Eva reagiert darauf mit innerer Ablehnung und Passivität, während ihr Mann die Problematik verharmlost. Auch als Kevins Sabotageakte destruktiver werden, stellt ihn deshalb niemand zur Rede, setzt ihm niemand Grenzen – bis er an seinem 16. Geburtstag eine unfassbare Tat vollbringt: Er ermordet Vater und Schwester und richtet in seiner Schule ein Blutbad an.
Nach dem gleichnamigen Roman von Lionel Shriver inszeniert Lynne Ramsay ein Drama über Abgründe elterlicher Erziehung und die Entwicklung eines Kindes zum Soziopathen. Ihr Film kann als Gegenstück zu Gus Van Sants
Elephant (USA 2003) gelesen werden. Doch geht es in
We Need to Talk About Kevin um die Perspektive der Mutter, die sich fragt, warum ihr Sohn zum Mörder wurde. In einer
Montage aus Gegenwart und traumartigen
Rückblenden entwickelt Ramsay ihre Geschichte mit
elliptischen Strukturen,
Zeitlupen und sparsamen Dialogen. Die schockierenden Handlungsmomente korrespondieren visuell mit der ausgeprägten
Farbgebung kraftvoller Rot-Töne und teils surrealen Bildern, ohne dabei auf explizite Gewaltdarstellungen zu setzen. Getragen wird das Psychodrama von Tilda Swinton, die glaubwürdig die überforderte Mutter verkörpert, hin- und hergerissen zwischen Wut und Schuldgefühlen.
We Need to Talk About Kevin beschäftigt sich mit einem Phänomen, das auch an deutschen Schulen bereits furchtbare Realität gewesen ist und berührt damit unweigerlich Ängste von Jugendlichen. Dabei gibt der Film keine Antworten, sondern stellt vielmehr unbequeme Fragen, die sowohl Kevin und seine Eltern wie auch die Gesellschaft betreffen. Vordergründig lässt sich über Schuld und erzieherische Verantwortung der Mutter diskutieren: Hätte sie ihre Familie retten und den Amoklauf verhindern können? Muss sie als Mutter ihr Kind lieben? Ebenso lässt sich aber auch hinterfragen, ob Kevin wirklich "von Grund auf böse" ist oder ob sein Verhalten nicht zwangsläufig nur seine desinteressierte Umgebung widerspiegelt. In Rollenspielen können Schüler/innen erproben, wie sie selbst in vergleichbaren Situationen als Mutter oder Kind reagieren würden, und anschließend ihr Verhalten reflektieren. Im Deutsch- und Kunstunterricht empfiehlt sich darüber hinaus eine Analyse der visuellen Ästhetik sowie des dramaturgischen Aufbaus.
Autor/in: Kirsten Liese, 14.08.2012
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