Hintergrund
3D-Kino: Geschichte und Zukunft
Ice Age 3 (Foto: 20th Century Fox)
Der aktuelle 3D-Boom ist nicht der erste Versuch in der Filmgeschichte, das dreidimensionale Kinoerlebnis zu etablieren, aber es ist der aussichtsreichste. Den jetzigen Durchbruch brachte der enorme Erfolg des Weltraum-Epos
Avatar – Aufbruch nach Pandora (Avatar, USA, Großbritannien 2009), das in Deutschland mehr als zehn Millionen Besucher/innen anlockte. Kurz vorher hatten allerdings auch andere Filme wie etwa
Ice Age 3 (Ice Age: Dawn of the Dinosaurs, Carlos Saldanha, Mike Thurmeier, USA 2009) ihre Anziehungskraft auf Besuchermassen bewiesen.
Frühe 3D-Filme
Im Lauf der Filmgeschichte gab es wiederholt Anläufe, stereoskopische Filmprojektionen einzuführen. Am bekanntesten sind wohl die 3D-Kino-Wellen in den 1950er-, 1970er- und 1980er-Jahren. Doch bereits in der Stummfilm-Ära experimentierten Filmpioniere mit dem 3D-Effekt: von den Brüdern August und Louis Lumière bei ihrem einminütigen Kurzfilm Die Ankunft eines Zuges im Bahnhof La Ciotat (L'arrivée d'un train à La Ciotat, Frankreich 1895) bis zu dem abendfüllenden Melodram The Power of Love (Nat G. Deverich, Harry K. Fairall, USA 1922), dem ersten Langfilm im anaglyphen Verfahren, bei dem Brillen mit roten und grünen Gläsern für den dreidimensionalen Seheindruck sorgten. In den 1920er- und 30er-Jahren gab es in Europa eine Reihe von Versuchen mit stereoskopischen Filmen, die beim Publikum aber auf keine nachhaltige Resonanz stießen.
3D-Welle in den 1950er-Jahren
Kamera aus den 1950er-Jahren (Foto:Johannes Steurer, Arri Cine Technik)
Die erste große Welle von 3D-Filmen setzte nach einer durch den Zweiten Weltkrieg bedingten Entwicklungspause Ende 1952 ein, als die Kinobranche immer mehr Zuschauer/innen an das neue preiswerte Fernsehen verlor. Damals versuchte die Filmindustrie, mit neuen Techniken wie dem breiten Cinemascope-Bildformat und eben 3D den Publikumsschwund zu stoppen. Allein Anfang der 1950er-Jahre entstanden etwa 50 3D-Produktionen, insbesondere an Effekten reiche Abenteuer- und Horrorfilme wie
Bwana, der Teufel (Bwana Devil, Arch Oboler, USA 1952) und
Der Schrecken des Amazonas (Creature from the Black Lagoon, Jack Arnold, USA 1954). Hatten sich die 3D-Filmversuche bis zum Zweiten Weltkrieg vor allem damit begnügt, die Zuschauer/innen mit dem spektakulären Ereignis des 3D-Raumeindrucks zu beeindrucken, so versuchten die Filmemacher/innen nun gerade in Horrorfilmen, dreidimensionale Monsterfiguren auch dramaturgisch zu nutzen, etwa um das Publikum mit Schockeffekten stärker zu ängstigen. Einen Film in 3D zu drehen, war in den 1950er-Jahren mit hohem Aufwand verbunden. Der Aufbau der beiden synchron betriebenen Kameras war langwierig, das Filmmaterial benötigte enorm viel Licht. Technische Probleme wie Bildstandschwankungen und Unschärfen, die Beschränkung auf Schwarz-Weiß-Bilder bei der Sichtung mit den gängigen Rot-Grün-Brillen und die fehleranfällige Synchronisation von zwei parallel laufenden Filmkopien trübten den Filmgenuss. Zudem verursachte die unzureichende Abstimmung der abwechselnd projektierten Bilder für das linke und rechte Auge bei vielen Zuschauern/innen Schwindel und Kopfschmerzen.
Genrefilme: 1960er- bis 1980er-Jahre
An diesen technischen Unzulänglichkeiten sollte sich auch in den Folgejahrzehnten wenig ändern. In den 1960er-Jahren wurden noch eine Handvoll 3D-Filme produziert, darunter der Softsexfilm Die Stewardessen (The Stewardesses, Al Silliman Jr., USA 1969), der mit 27 Millionen Dollar Einspiel zum erfolgreichsten 3D-Film der damaligen Zeit avancierte. Auch die in den 1970er-Jahren einsetzende zweite Welle stereoskopischer Softpornos, Abenteuer-, Grusel- und Actionfilme, die möglicherweise entstand, weil der Heimvideorecorder auf dem Vormarsch war, hielt nur bis Mitte der 1980er-Jahre an. Andy Warhols Frankenstein (Andy Warhol's Frankenstein, Paul Morrissey, Antonio Margheriti, USA, Italien, Frankreich 1973) oder Der weiße Hai 3D (Jaws 3-D, Joe Alves, USA 1983) versuchten beispielsweise ihr Glück mit 3D. Wegen der anhaltenden technischen Defizite konnte sich diese Technik aber auch damals nicht durchsetzen. Über viele Jahre hinweg blieb sie danach auf die Imax-Kinos beschränkt, die mit Hilfe von extra breiten 70 mm-Kopien vor allem kürzere Naturdokumentationen und Wissenschaftsfilme auf Spezialleinwänden vorführten.
Durchbruch im neuen Jahrtausend
Die Abenteuer von Sharkboy und Lavagirl in 3-D (Foto: Walt Disney Motion Pictures Germany)
Erst innovative digitale Projektionssysteme, die eine weiter entwickelte Polarisationstechnik oder Interferenzfilter mit neuen leistungsstarken Brillen kombinierten, schafften im dritten Jahrtausend einen Durchbruch. Sie ermöglichten helle, scharfe und flimmerfreie Bilder und ein überzeugendes räumliches Sehen. Diesmal setzte die Industrie mit Filmen wie
Spy Kids 3D: Game Over (Robert Rodriguez, USA 2003) oder
Die Abenteuer von Shark Boy und Lava Girl (The Adventures of Shark Boy und Lava Girl, Robert Rodriguez, USA 2005) zudem gezielt auf ein Teenagerpublikum. Freiwillig erfolgte diese erneute Initiative der US-Filmindustrie aber nicht: Das sich stetig verbessernde Heimkino-Equipment und Online-Raubkopien machen dem klassischen Kino zunehmend zu schaffen.
Ökonomische Aspekte
Angefacht wurde die neue 3D-Euphorie durch die Erkenntnis, dass 3D-Fassungen attraktiver Filme pro Kopie deutlich mehr einspielten als die 2D-Fassungen. Bei
Ice Age 3 (Ice Age: Dawn of the Dinosaurs, Carlos Saldanha, Mike Thurmeier, USA 2009) wurde jedes fünfte Ticket für einen Ausflug in die dritte Dimension gelöst, bei
Monsters vs. Aliens (Rob Letterman, Conrad Vernon, USA 2009) schon jedes dritte. Kein Wunder, dass Animationsfilmschmieden wie DreamWorks und Pixar ankündigten, ab 2009 nur noch stereoskopische Filme herzustellen.
Von "Polarexpress" zu "Avatar"
Einen wichtigen Schub in ästhetischer Hinsicht lieferte 2004 Robert Zemeckis
Polarexpress (The Polar Express, USA), dessen 3D-Version nur in IMAX-Kinos lief.
Polarexpress kombinierte die digitale Animationstechnik mit dem Motion-Tracking-Verfahren, bei dem die Bewegungen von realen Schauspielern/innen über Messpunkte erfasst und auf digital erzeugte Figuren übertragen werden. Dieses Verfahren, allerdings technisch weiterentwickelt,
Avatar - Aufbruch nach Pandora (Foto: 20th Century Fox)
half insbesondere James Cameron in
Avatar – Aufbruch nach Pandora, seine blauen Kunstfiguren so lebendig erscheinen zu lassen. Mit seinem Weltraumepos setzte Cameron den Meilenstein für das 3D-Kino der Jetztzeit, indem er auf höchstem technischen Niveau einen Live Action-Film mit
CGI-Bildern kombinierte. Die eigens entwickelten hochauflösenden digitalen Kameras waren mit etwa 15 Kilogramm kaum ein Zehntel so schwer wie die bislang üblichen und ermöglichten es, Action-Szenen auch aus der Hand zu filmen. Der detailreiche stereoskopische Raumeindruck, die tiefe räumliche Staffelung der Gegenstände im projizierten Bild, die Darstellung nächtlicher Farbenpracht der fluoreszierenden Pflanzen übertrafen die räumliche Simulation vorheriger 3D-Filme bei weitem. Weltweit lief die Großproduktion in mehr als 17.000 Kinosälen an, knapp ein Drittel davon mit 3D-Projektion. Camerons Film bewies wie zuletzt auch
Alice im Wunderland (Alice in Wonderland, Tim Burton, USA 2010), dass neben
Animationsfilmen auch Realfilme in 3D ein Massenpublikum erreichen können.
Kommerzielle Gesichtspunkte
Die Mehrkosten für die 3D-Filmherstellung gegenüber konventionellen zweidimensionalen Produktionen liegen nach Angaben von Branchenexperten/innen bei 20 bis 30 Prozent. Da die Zuschauer/innen aber bisher bereit sind, einen Ticketzuschlag zu zahlen, dürften die erhöhten Herstellungskosten gedeckt werden. Auch die Kinobetreiber/innen erhoffen sich langfristig eine Amortisierung ihrer Investitionen in die neue Technik: Neben den Anschaffungskosten von rund 30.000 Euro verursachen 3D-Projektoren höhere Betriebskosten und die Geräte nutzen sich rascher ab als 35 mm-Projektoren. Weil vor allem die Hollywood-Studios für die kommenden Jahre dutzende 3D-Produktionen angekündigt haben, ist die Zahl der 3D-Kinosäle kontinuierlich gestiegen: Waren im Juni 2009 54 Prozent der digitalen Kinos in Europa mit 3D-Systemen ausgerüstet, so waren es im Dezember 2009 bereits 69 Prozent. Insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt 13 Prozent der europäischen Kinosäle mit digitalen Projektionsanlagen ausgestattet. In Deutschland verfügen derzeit etwa 290 Kinos mit etwa 430 Sälen über digitale 3D-Projektionsanlagen. Nach Schätzungen aus der deutschen Kinowirtschaft wird die Zahl der 3D-Leinwände bis zum Jahresende auf 600 steigen.
Die Zukunft des dreidimensionalen Kinos
Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen (Foto: Sony Pictures Releasing GmbH)
Ob sich das 3D-Kino dauerhaft etablieren kann, ist noch nicht absehbar. Einerseits macht es wenig Sinn, dialoglastige Gerichtsdramen oder auf die Figuren konzentrierte Ehetragödien in 3D zu drehen, wenn diese ohne ästhetischen und inhaltlichen Verlust darauf verzichten können. Andererseits nutzen sich aber auch typische plakative 3D-
Effekte wie auf das Publikum zufliegende Pfeile, Geschosse oder Ähnliches rasch ab. Die Bandbreite der Filmstoffe und das filmsprachliche Instrumentarium für die dritte Dimension zu erweitern ist sicher unumgänglich, um 3D eine langfristige Resonanz zu sichern. Wim Wenders dreht beispielsweise seit Herbst 2009 seinen neuen Dokumentarfilm
Pina. Erst die 3D-Technik, schwärmte der Regisseur, werde den Choreographien von Pina Bausch gerecht. Mit seinem ersten 3D-Film will er vor allem die "poetischen Möglichkeiten dieser Technik" ausloten, die in Fantasy- und Animationsfilmen aus Hollywood noch gar nicht genutzt worden seien. Schwer einzuschätzen ist, inwieweit sich das 3D-Kino gegenüber zukunftsträchtigen Neuerungen wie 3D-Handys, 3D-Fernsehen, 3D-DVD und 3D-Spielkonsolen behaupten kann. Mit Blick auf die Kinogeschichte spricht jedoch viel dafür, dass sich das großflächige kollektive Seherlebnis im Kino als resistent erweist.
Autor/in: Reinhard Kleber, Redakteur und Autor im Bereich Film und Medien, 07.07.2010
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