Helden des Alltags
Viele Menschen wollen mit Politik eigentlich nichts zu tun haben – schon gar nicht mit 'Parteipolitik'. Und dennoch sind auch sie engagiert und damit ein Teil der existenzerhaltenden Grundlage jeder Bürgergemeinschaft. Gemeint sind die vielen Einzelnen, die irgendwann die Initiative ergriffen, weil sie erkannten, dass einer damit anfangen muss: die Jugendgruppe, die für die abgewiesenen Flüchtlinge einen Platz in der Kirchengemeinde erstreitet – bis ihr Fall geklärt ist. Der Mann, der nicht wegschaut, wenn neben ihm in der Straßenbahn drei glatzköpfige Jugendliche einen Afrikaner anpöbeln. Die Frau, die sich so lange für ihre Lehrlinge einsetzt, bis sie einen Arbeitplatz gefunden haben. Die Ärztin, die jedes Jahr für vier Wochen in die Slums nach Mexiko geht, um dort zu praktizieren. Es gibt sie, die wahren "Helden des Alltags". Aber was motiviert sie?
Sie folgen dem selbstverordneten Konzept "Selbstwirksamkeit". Der relativ neue Begriff wurde von dem Psychologen Albert Bandura (Stanford University) geprägt und spielt eine zentrale Rolle in seiner Theorie des sozialen Engagements. Das Ausmaß an Selbstwirksamkeit, das man sich zuschreibt, besagt, wie mächtig (= wirksam) man sich empfindet und wie fähig, ein bestimmtes Ereignis zu verursachen. Diese Einschätzung wird maßgeblich vom Glauben an die eigenen Fähigkeiten bestimmt, an jene Fähigkeiten, die notwendig sind, eine bestimmte Aufgabe zu meistern. Der Gedanke "Ich kann das vollbringen!" (weil ich gefühlsmäßig davon überzeugt bin), zeugt von hoher Selbstwirksamkeit. Albert Bandura hat in vielen Studien gezeigt, dass die Einschätzung der eigenen Selbstwirksamkeit in Abhängigkeit zu vielen Merkmalen des Lernens und der Leistung steht. Genauso wichtig wie die tatsächliche Wirksamkeit ist der Glaube daran, dass man wirksam ist. Wer von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, wer sich etwas zutraut, dem gelingt mehr, als demjenigen, der an seinen eigenen Möglichkeiten (ver-)zweifelt. Die Freude am Effekt, das Stück Geltungsbewusstsein, der Beweis: "Ich kann, wenn ich will" – das ist auch der alte amerikanische Traum, durchmischt mit einem Schuss "Messianismus".
Müssen die Menschen nicht naiv sein, sich immer wieder in einer Gesellschaft zu engagieren, von der jeden Tag in der Zeitung zu lesen ist, wie korrupt, unmoralisch, geldgierig und verlogen es in ihr zugeht? Doch während der Sozialstaat unter seinen Lasten ächzt, wächst der Gemeinsinn, schreibt Gero von Randow ("Die Zeit", 16.3. 2000): "Moralische Substanz ist eine Ressource, die nicht nur verbraucht, sondern immer wieder geschaffen wird." Jeder dritte Bundesbürger ist nach eigenen Angaben in irgendeiner Form ehrenamtlich engagiert, in Vereinen, Projekten, Selbsthilfegruppen. Die Kurse für zivile Friedenshelfer, die das Auswärtige Amt seit einem Jahr alle drei Wochen anbietet, sind langfristig ausgebucht: Tausende junger (und älterer) Menschen warten auf einen Einsatz in Krisenregionen. Die Helfer erweisen sich mit ihrer Hilfe für andere auch selbst einen Dienst. Sie erleben Zugehörigkeit, Anerkennung, das Gefühl, geborgen zu sein in einer Gemeinschaft, die sie lange vermisst haben. Es scheint, je anonymer die Gesellschaft wird, desto mehr wächst der Wunsch nach menschlicher Nähe.
Autor/in: Volker Thomas, 08.12.2006