Wasser tropft von den schmierigen Wänden, schwillt an auf dem Grabesbraun des Gefängnisbodens, als wolle es die Eindringlinge zur Tür hinausspülen. Doch die junge Frau und der alte Pfarrer, die von zwei Geistlichen flankiert werden wie weiland Gesetzeshüter von ihren Hilfssheriffs, lassen sich nicht beirren. Hinter einer Zellentür wartet auf Maya Larkin und Pater Lareaux das Böse. Auf Wunsch des zum Tode verurteilten Frauenmörders Henry Birdson machen sich die Exorzismusspezialisten der Katholischen Kirche an die Arbeit. Die Psychiatrie hat Birdson aufgegeben, die Katholiken noch lange nicht. Als Priester haben sie höhere Weihen und blütenweiße Gewänder.
Lost Souls (Regie: Janusz Kaminski)
Apokalyptische Visionen
Maya hatte den Teufel im Leib. Seitdem Pater Lareaux die ehemalige Prostituierte exorziert hat, ist Mayas Glaube der Fels, an den sich selbst die Frömmsten lehnen. In einer Tasche schimmern Kreuze im düsteren Licht wie Waffenläufe. Verschwimmende Wahrnehmungsgrenzen, das Unklare, das aus dem "Unreinen" einer nicht nur äußerlich verwahrlosten Umgebung entspringt, glimmen in der Lichtführung auf, mit der Spielberg-Kameramann Janusz Kaminski sein Regiedebüt
Lost Souls bestreitet: Nicht unelegant im Umgang mit den monochromen Farben, die New York in einen (moralischen) Sumpf verwandeln. Wenn Winona Ryder in der Rolle der Seherin Maya von apokalyptischen Visionen überwältigt wird, die zu Beginn des dritten Jahrtausends die Machtübernahme Satans prophezeien, markiert schon das schmutzig-weiße Kleid eines kleinen Mädchens die Allgegenwart verdorbener Unschuld.
Rückkehr des Teufels?
Frauen, die keine (mehr) sein wollen, dominieren zur Zeit die Erlöserbranche. Sackmäntel und Selbstverleugnung haben Maya zur Heiligen befördert, die Einsicht in das heimliche Treiben des Bösen erhebt sie zum Racheengel. Maya, die ebenso gut Maria-Magdalena heißen könnte, erfährt auf kuriosen Wegen, dass der Teufel im Körper des Schriftstellers Peter Kelson zurückzukehren gedenkt. Als "inzestuös gezeugter Agnostiker", wie ihn schon ein obskures Deuteronymus-Zitat eines Heiligen aus nicht autorisierten Bibelschriften ankündigt, also als jemand, der die Zeichen des Teufels nicht erkennen kann, ist der ungläubige Peter Satans erste Wahl. Dass von des Teufels unfreiwilligem Gastgeber nur eine Art Ganzkörpermaske übrig bleiben soll, macht den erfolgsbesessenen Peter auch nicht geneigter, Maya ernst zu nehmen. Das ändert sich, als die Serienmörder, über die der Zyniker mit Vorliebe schreibt, anfangen, ihm zuzublinzeln.
Verlust von Vielschichtigkeit
Mit jedem Hinweis auf Peters bösartigen Onkel, der nicht nur ein fehlgeleiteter Priester, sondern obendrein sein Vater ist, fällt der Film von Kaminskis großem Vorbild Polanski ab wie der verhexte Exorzist Lareaux vom wahren Glauben. Polanskis Klassiker
Rosemaries Baby erschloss in den subtilen Seelenqualen einer Schicksals-Schwangeren das Irrationale als Schoß des Dämonischen. Die Geburtsängste seiner Protagonistin blieben doppeldeutig.
Lost Souls verabschiedet sich dagegen mit einer Inbrunst von den Segnungen (film)analytischer Mehrdeutigkeit. "In unserem Film geht es darum, wie man einen Menschen dazu bringen kann, zu glauben", so die Produzentinnen Meg Ryan und Nina R. Sardowsky über den Film, der sich der spirituellen Krise Amerikas auf "unterhaltsame" Art und Weise annehmen möchte.
Visueller Exorzismus
Glauben sollen die Betrachter solcher mit Vehemenz zurückkehrender Teufels(um)triebe wie in
Lost Souls,
The Calling oder
Die Prophezeiung vor allem an das Heilspotenzial eines Kinos, das die Krankheit ist, von der es Erlösung verspricht: Die Befähigung zum Zweifel, zur Skepsis gegenüber der Verführung des Offenkundigen und Offenbarten muss dem Kino der Banalisierung und Standardisierung ungeheuerlich sein. Die Psychoanalyse, aber auch der selbstreflexive und ironische Hollywoodfilm wie
Being John Malkovich dagegen begreifen den Zweifel als Chance zur Selbst- und Kunsterkenntnis. Im Kampf um die knappe Ressource zahlungskräftiger Aufmerksamkeit setzen die Vereinfacher auf den populären Horror vor komplexen Zusammenhängen. An die Stelle der reizüberfluteten Split-Screen-Psyche, die angesichts einer Fülle verfügbarer Glaubenssätze den alten Leib-Seele-Dualismus gottvoll findet, tritt bei Kaminski und Konsorten der besetzte Mensch. Wo der Antichrist herrscht und Gewalt bis hin zum religiös motivierten Mord sich als Religionskrieg erklärt, kann es keine Innerlichkeit, kein Subjekt geben. "Die Seele", so der Sozial- und Literaturwissenschaftler Pierre Klossowski über die Pathologie der Besessenheit, "ist für den Exorzisten ein den Mächten äußerer Ort, wie diese Mächte ihr gegenüber äußerlich sind." So wie der Exorzist den gotteslästerlichen Besetzer aus der Haut des armen Sünders fahren lässt, um darunter die reine (Volks-)Seele zu entdecken, hält sich der visuelle Exorzismus dieses Films an die Austreibung vermeintlich unwirksamer sozialpsychologischer Erkenntnisse. Ein antidogmatischer Gesellschaftsentwurf wird da aus dem Kino der kassenwirksamen Schuldzuweisungen verdrängt und mit ihm das Licht der Aufklärung.
Autor/in: Heike Kühn, 01.01.2001