Das Interview führte Margret Köhler.
Sie gehören zur Nach-68er-Generation. Woher kommt der Reiz, sich mit dem Thema RAF zu beschäftigen?
Beim "Deutschen Herbst" war ich sechzehn, aber die Folgen schlugen sich bei uns bis in den Unterricht nieder. Nach dem Buback-Attentat änderte der Geschichtslehrer den Lehrplan, plötzlich lernten wir etwas über das Römische Reich. Ich stamme aus einer behüteten Kleinstadt zwischen Wuppertal, Düsseldorf und Köln. Die Mitglieder der RAF waren für uns so etwas wie Alice Cooper, Leute, mit denen man den Kleinstadtmuff aufsprengen konnte. In den 80er Jahren fand ich die Texte und Nachrichten aus dem Untergrund unerträglich. Erst mit den Vorfällen in Bad Kleinen kam das Interesse wieder, als ich las, wie der erschossene Terrorist Wolfgang Grams Liebeslieder im Untergrund geschrieben und sogar Vierfruchtmarmelade gekocht hat. Ich fragte mich, was ist das für eine Geschichte? Es war alles so fiktiv – wie ein Spätwestern. Da habe ich mich wieder fiktional mit der RAF beschäftigt.
Lag das Thema in der Luft? Volker Schlöndorff drehte Die Stille nach dem Schuss ...
Es gibt manchmal Korrespondenzen. Ohne dass man miteinander spricht, tauchen plötzlich Themen auf. Ich denke, nach 16 Kohl-Jahren hat eine Eisbergschmelze stattgefunden, Dinge, die nicht zu Ende gedacht oder ausgesessen worden sind, drängten in die Öffentlichkeit, schrien geradezu nach Behandlung.
Wie haben Sie recherchiert, haben Sie mit Ex-Terroristen geredet?
Ich habe mich viel mehr mit Dostojewski, Tschechow und George Simenon beschäftigt, als dass ich wirklich recherchiert hätte. Es ging mir auch nicht darum, im Stil von Heinrich Breloer diese Jahre wieder aufleben zu lassen. Mein Koautor Harun Farocki besuchte mit Holger Meins im gleichen Jahrgang die Filmakademie, wohnte mit ihm zusammen. Diese Erfahrungen flossen selbstverständlich ins Drehbuch ein. Aber meine Konstruktion ist sehr fiktional. Es ist absurd, dass ein Terroristenpaar in so einer Ausnahmesituation ein Kind zeugt. Ich drifte eher im Bereich Liebe, Familie und Mythen herum, als bei der wirklichen RAF, deren Realität viel trauriger war.
Wie würden Sie Ihren Film definieren?
Als eine Erzählung von Menschen, die mal die Geschichte in die Hand nehmen und abkürzen wollten. Sie wollten nicht organisch abwarten, dass sich die utopische Gesellschaft einstellt, sondern den Weg dorthin beschleunigen – durch Attentate und politische Aktionen. Die Eltern der jungen Protagonistin sind aus der Geschichte herausgefallen und nur noch Phantome. Ihre Tochter dagegen hängt keinen politischen Träumen nach, möchte in die Wirklichkeit, in die Gegenwart zurück, ganz einfach in die Normalität. In ihren Sehnsüchten unterscheidet sie sich nicht von ihren Altersgenossinnen. Auch die Sprachlosigkeit zwischen Eltern und Kindern erlebt jede Generation neu.
Was ist gerade für eine jüngere Generation das Interessante an Ihrem Film?
Es wäre vermessen, für die junge Generation der 18- bis 25-Jährigen zu sprechen. Aber es geht nicht nur um die politische Diskussion, sondern auch darum, dass das "Wir" nicht mehr existiert. Der Grundkonflikt und die Modernität der Geschichte besteht darin, dass diese Familie keinen Ort findet, weil es heute fast unmöglich ist, als Familie in dieser antifamiliären Welt zu leben. Ich denke da an Globalisierung, Flexibilität der Arbeitnehmer oder ganz simpel an die Mieten. Mich interessiert, wie Menschen eine Familie zusammenhalten wollen. Die RAF war nur der Auslöser für die Story.
Wo lag die größte Herausforderung?
Eben weil ich keinen Film über den Terrorismus gemacht habe, sondern über eine Familiensituation, lag die größte Schwierigkeit darin, ohne Flashbacks zu erzählen und das Lehrstückhafte von Dialogen zu vermeiden. Wir haben viel geprobt, um zu erreichen, dass die Familie von der ersten Einstellung an als Familie wahrnehmbar ist. Die Kommunikation sollte erfahrbar sein durch Blicke, Pausen, Gesten. Wir haben sehr viel chronologisch gedreht, um ein Gefühl für den Zusammenhalt dieser Familie zu wecken.