Der eine musiziert, der andere tanzt: Die Talente der beiden jungen Männer ergänzen und verstärken sich gegenseitig; dass sie gute Freunde sind ist selbstverständlich, auch wenn es ansonsten wenig Selbstverständlichkeiten in ihrem Leben gibt. Der eine nämlich, Louis, wird irgendwann König von Frankreich werden, der andere, Battista, sein Hofkomponist. Einstweilen aber ist der designierte Herrscher noch ein Teenager und kann sich ganz seiner Leidenschaft, dem Tanz hingeben. Und Battista, der vor nicht allzu langer Zeit aus Florenz nach Paris emigrierte, erfindet Musik und Choreografien dazu. Die Geschäfte am Hof führen Louis’ Mutter und ihre Berater.
Eroberung der Macht
Wenige Jahre später, 1661: Der kaum 22 Jahre alte Louis besteigt den Thron gegen den Willen seiner Mutter und ist nun Louis XIV., auch Sonnenkönig genannt. Er düpiert den Adel und den Klerus, indem er alle Macht für sich allein beansprucht und sich zu Gottes Stellvertreter auf Erden erklärt. Dabei liebt er die Künste und die Vergnügungen; er beruft seinen Freund und Tanzmeister zum Hofkomponisten und erfüllt ihm dessen glühendsten Wunsch, französischer Staatsbürger zu werden. Aus Giovanni Battista Lulli, dem belächelten Ausländer, wird Jean-Baptiste Lully, ein einflussreicher Mann bei Hofe. Denn seine Musik begleitet höfische Zeremonien, Feste und vor allem den König selbst bei all seinen Aktivitäten: Von morgens bis abends hält sich ein Orchester in Hörweite des Herrschers auf, das Lullys Kompositionen spielt. Wie sein König sich von allen traditionellen Rücksichten und Bindungen losgesagt hatte, erfand Lully einen neuen musikalischen Stil, der den Bedürfnissen des Herrschers angepasst war und die Prachtentfaltung bei Hofe unterstrich: große Konzerte, deren strahlend-klare Harmonien mit ihrer überwältigenden Kraft wie Propaganda für den absolutistischen Herrscher wirken.
Verrat an den Freunden
Der König tanzt erzählt die Geschichte einer Jugendfreundschaft, die schon längst keine mehr ist, als Lully, der für seinen König alles Private zurückstellt, immer noch fest daran glaubt. Aber auch als Louis ihm eröffnet, er habe keine Freunde, bleibt der Komponist ihm blind ergeben. In langen Rückblenden lässt der schwer kranke Lully nicht nur die Höhepunkte seines Lebens am Hof Revue passieren, sondern auch die Momente, in denen er in Gefahr geriet, seine privilegierte Stellung zu verlieren. Um sie zu erhalten, verriet er, so will es dieser Film, Ehefrau, Geliebte und schließlich auch den Freund Molière, mit dem er viele Jahre zusammen arbeitete.
Machtgehabe
Gérard Corbiau, der schon mehrere Musikfilme inszenierte (z. B. 1994
Farinelli) hat mit
Der König tanzt einen mitunter hysterischen Film voll großer Gefühle gedreht: Die Liebe, die Lully für seinen König empfindet, ist vor allem auch eine Liebe zu dessen Macht, an der Lully partizipiert. Und so sehen wir nicht nur den König, sondern auch den Komponisten häufig aus der Untersicht, wie sie mit ausgreifenden, exakten Armbewegungen ein Heer oder ein Orchester dirigieren. Bis ins Detail kopiert Lully die Gestik des Herrschers, seine schnellen, festen Schritte, selbst seine Worte.
Die Einsamkeit der Mächtigen
Lully, als Ausländer lange Zeit ein Außenseiter bei Hofe, als Musiker belächelt von den politischen Würdenträgern, genießt es später um so mehr, dass die Sonne des Königs auch auf ihn strahlt. Aber als ob er nur deren Licht, nicht aber deren Wärme gespürt hätte, verströmen seine Kompositionen eine klirrende Kälte, die vielleicht auch Rückschlüsse zulässt auf die Einsamkeit derjenigen, die auf dem Gipfel der Macht angelangt sind.
Eine zeitlose Parabel
Lully, so erzählt dieser Film, vernachlässigt selbst die Beziehungen zu seiner Frau und seinen Kindern; mit fortgeschrittenem Alter wird er, wie sein König, immer einsamer und immer mächtiger, schließlich eignet er sich auch dessen Credo an: "Ich habe keine Freunde".
Der König tanzt ist eine Parabel über das Verhältnis von Kunst und Macht in einem totalitären Staat und er zeigt im Grunde, dass in den komplizierten Beziehungsstrukturen, dem Geflecht von Intrigen – Verrat auf der einen, Loyalität und Konformität auf der anderen Seite – niemand seine Unabhängigkeit bewahren kann. Erst mit der bürgerlichen Revolution und ihren Folgen nach 1848 änderte sich in Europa auch die abhängige Position der Künstler, bis die Diktaturen des 20. Jahrhunderts noch einmal versuchten, sie für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Viele gingen ins Exil; einige ließen sich von der Macht korrumpieren, wurden mitunter zu Verrätern ihrer Kollegen.
Ein Film zum Hören
Lullys Musik, vom renommierten Kölner Ensemble Musica Antiqua mit der Instrumentierung des 17. Jahrhunderts eingespielt, bildet das dramaturgische Gerüst des Films: Höhepunkte des Drehbuchs sind stets an neue Kompositionen gebunden, die der Tag und Nacht arbeitende Musiker seinem König schrieb – ein Te Deum zur Genesung, ein Comédie-ballet zur Einweihung der Anlagen von Versailles, einen Marsch für einen Feldzug, sogar ein Begleitkonzert für eine Liebesnacht. Abgesehen von der großartigen Ausstattung, den schönen Kostümen und den gemessenen Choreografien, die in
Der König tanzt zu sehen sind, ist dies also vor allem auch ein Film zum Hören.
Autor/in: Daniela Sannwald, 01.05.2001