Hintergrund
Die Faszination der Macht
Darstellung von Militär und Politik im zeitgenössischen amerikanischen Film
Warum kommen gerade in jüngster Zeit in gehäufter Form US-Militärfilme in die Kinos, die zumeist historische Ereignisse in fiktionaler Verarbeitung aufgreifen? Seit dem Zerfall der Sowjetunion sehen sich die Vereinigten Staaten von Amerika in der Rolle der einzig verbliebenen Weltmacht, die weltweit Frieden und Freiheit sichern oder wieder herstellen soll. Natürlich können auch die USA nicht überall eingreifen und wollen es auch nicht. Die jüngsten Bestrebungen des neuen Präsidenten George W. Bush, die US-Truppenpräsenz auf dem Balkan zu reduzieren, reflektieren den neu erwachten Hang zur Zurückhaltung in Übersee und zur stärkeren Konzentration auf Angelegenheiten der eigenen Nation bzw. des eigenen Kontinents.
Men of Honor
Eine verlässliche Führungsmacht
Zu den genannten Bestrebungen passen die amerikanischen Pläne, ein neues Raketenabwehrsystem zu installieren – notfalls auch dann, wenn dafür bestehende Abrüstungsverträge gekündigt werden müssen. Solcherlei Überlegungen sind bei den westlichen Verbündeten auf große Skepsis gestoßen und so mag es doch kein Zufall sein, dass Filme wie
Pearl Harbor und
Thirteen Days jenseits aller Unterhaltungspflichten demonstrieren, dass auf die politische und militärische Führungskraft der Amerikaner im Krisenfall Verlass war und ist. Und selbst ein Militärdrama wie
Men of Honor versichert uns, dass die Streitkräfte der USA ungeachtet aller Anfechtungen durch individuelle Schwächen und Systemfehler – wie den Rassismus – letztlich auch die Garanten der Menschen- und Bürgerrechte sind.
Militärische Attraktionskraft
Von aktuellen Fällen abgesehen: Das Militär war in Hollywood und nicht nur dort schon immer ein beliebtes Thema. Ein wichtiger Grund dafür ist die Faszination der Macht, darf doch in demokratisch regierten Ländern die Armee als einziges Staatsorgan neben der Polizei von Gesetzes wegen Gewalt anwenden. Das Militär erfreut sich überdies gerade in jenen Staaten, die sich ihre Unabhängigkeit von Hegemonialstaaten mit militärischen Mitteln erkämpft haben, einer traditionsreichen Attraktion. Hollywood hat solche Themen immer gerne aufgegriffen und auch die eigenen militärischen Erfolge ins rechte Licht gesetzt. So wundert es also nicht, dass Hollywood seine kriegerischen Helden gerne feiert.
Tigerland
Affirmative und kritische Sichtweisen
Spätestens seit dem Vietnam-Krieg lassen sich zwei Hauptlinien des amerikanischen Militärfilms unterscheiden: die affirmative und die kritische Linie. Für erstere stehen Filme wie
Rambo und
Top Gun, den auch Jerry Bruckheimer produzierte, der nun
Pearl Harbor auf die Leinwand bringt. Die zweite Linie repräsentieren Klassiker wie
Apokalypse Now, der auf dem Festival in Cannes 2001 erstmals in erweiterter Fassung zu sehen war, und
Die durch die Hölle gehen, aber auch bissige Armee-Satiren wie
M.A.S.H..
Zwei aktuelle Beispiele
Unter den aktuellen Produktionen lassen sich
Tigerland und
Pearl Harbor am eindeutigsten diesen Traditionsrichtungen zuordnen. Im Gewand eines Dogmafilms entpuppt sich ausgerechnet
Tigerland, das jüngste Werk des Selbstjustiz-Propagandisten Joel Schumacher (
8mm), als überzeugender Antikriegsfilm. Dessen Anti-Held Bozz lässt mit unbeirrbarer Hartnäckigkeit keine Gelegenheit aus, Sand ins Getriebe eines US-Ausbildungslagers für designierte Vietnam-Infanteristen zu streuen. Die Ironie dabei: Indem dieser Kriegsgegner das hierarchische System der Armee von innen sabotiert, beweist er erst recht seine vorzüglichen Führungsqualitäten.
Pearl Harbor
Heldenverehrung ...
Im Vergleich zu diesem radikalen Ansatz fällt
Armageddon-Regisseur Michael Bay bei
Pearl Harbor in die Konventionen einer hemmungslosen Heldenverehrung zurück. Die beiden Piloten stürzen sich nach durchzechter Nacht in Hawaiihemden nicht nur todesmutig in Kugelhagel und Luftschlacht, sondern erklären sich später freiwillig auch zu einem nahezu sinnfreien Himmelfahrtskommando gegen einen heimtückischen Feind bereit. Und auch Präsident Roosevelt, der lange mit dem Kriegseintritt zögerte, erweist sich bei Bay als resoluter Machtmensch: Unter größten Mühen kämpft er sich aus seinem Rollstuhl hoch, um seinem Beraterzirkel zu beweisen, dass nichts unmöglich ist – auch ein sofortiger militärischer Vergeltungsschlag gegen den Aggressor Japan nicht.
... und Hochglanzästhetik
Selbst in ästhetischer Hinsicht könnte das filmische Antagonistenduo nicht unterschiedlicher sein: Bei
Tigerland körnige Bilder und überbelichtete Aufnahmen; dazu eine nervöse Kamera, die an Bozz zu kleben scheint und ihn in die schmutzigsten Löcher begleitet. Bei
Pearl Harbor eine schicke Hochglanzästhetik, die mit spektakulären Spezialeffekten protzt und die kriegerische Potenz der Militärmaschinerien glorifiziert, wobei das 40-minütige Bombenstakkato noch mit bombastischer Musik überhöht wird.
Thirteen Days
Der "innere" Feind und die Vernunft
Men of Honor,
Thirteen Days und auch
Der Soldat James Ryan reklamieren in dieser Hinsicht weniger eindeutige Positionen. Auf der Basis eines authentischen Falles zeigt
Men of Honor deutlich, welche rassistischen Widerstände der ehrgeizige Protagonist in der US-Marine überwinden muss, ehe er es schafft, erster schwarzer Tiefseetaucher zu werden. Er zeigt aber auch, wie dieser schwarze Soldat die kameradschaftliche Freundschaft eines schroffen weißen Ausbilders gewinnt, der ihm am Ende zum verdienten Sieg über inhumane weiße Militärbürokraten verhilft.
Thirteen Days zeichnet ein ungünstiges Bild der militärischen Falken, die 1962 in der Kubakrise für einen nuklearen Erstschlag gegen die sowjetischen Raketen auf Kuba plädierten. Zum Glück verhinderten Vorsicht und Vernunft des jungen Präsidenten Kennedy und seiner Berater eine weitere Eskalation, die die Welt in einen Atomkrieg gestürzt hätte. Roger Donaldsons dialoglastiger Politthriller lässt dabei keinen Zweifel, auf welcher Seite er steht.
Autor/in: Reinhard Kleber, 21.09.2006