35. Internationale Hofer Filmtage 2001
Noch stärker als in den vergangenen Jahren stand bei den 35. Internationalen Hofer Filmtagen der deutsche Film im Mittelpunkt. Sicher hatte das auch mit der politischen Lage zu tun, die entsprechend weniger Regisseure aus dem Ausland in die oberfränkische Stadt lockte. Zum "Ausgleich" dafür bekamen besonders viele deutsche (Nachwuchs-)Regisseure von Festivalleiter Heinz Badewitz eine Chance zur Präsentation ihrer Werke. So richtige Highlights suchte man zwar auch diesmal wieder im immer umfangreicher werdenden Programm wie die Stecknadel im Heuhaufen, dafür beeindruckten deutsche Filme auf breiter Ebene mit unterschiedlichsten Stilrichtungen und unkonventionellen Erzählformen, die sich dem vermeintlichen Publikumsgeschmack nicht einfach anbiederten, sondern auch Wagnisse eingingen.
Jeans internatobale hofer filmtage (Foto: Internationale Hofer Filmtage)
Formale Experimente
Programmatisch dafür stand schon der Eröffnungsfilm
Null Uhr zwölf, das Regiedebüt des Schauspielers Bernd Michael Lade, ein Krimi über ein paar "Verlierertypen" der Leistungsgesellschaft, die den großen Coup planen und der Polizei ein Schnippchen schlagen möchten. Formal etwas überstrapaziert verweigert der Genrefilm die chronologische Abfolge eines Verbrechens und seine Aufklärung und setzt stattdessen auf Irritation. – Lades Schauspielerkollegin Nicolette Krebitz wagte sich ebenfalls an ihren ersten Spielfilm. Viel oder gar Neues zu erzählen hat sie in
Jeans zwar nicht, aber ihre Videocollage aus künstlerisch aufgepeppten Spielsequenzen, Musikclips, Reflexionen über die Liebe, das Leben und die Schauspielerei erinnert in Figurenzeichnung und Milieu an das libertinäre Lebensgefühl der 70er Jahre und in seiner Form an die Stil suchende Orientierungslosigkeit der Gegenwart, gerät auf diese Weise zum faszinierenden Zeitdokument einer Jugendkultur.
"Das erste Mal"
Eingefahrene Gleise verlässt auch der Ludwigsburger Filmabsolvent Sven Taddicken, der mit
Mein Bruder der Vampir in Hof den Kodak-Nachwuchsförderpreis erhielt. Seine mal sehr sensibel, mal eher derb erzählte, rasant geschnittene und fantasievolle Komödie handelt aus der Perspektive einer 14-Jährigen von typischen Pubertätsnöten und Hormonwallungen in einer nicht ganz durchschnittlichen Familie mit drei Kindern: Die sich cool gebende Jüngste plant ihr "erstes Mal" generalstabsmäßig, der Älteste ist bereits 29, geistig behindert, möchte endlich auch einmal "bumsvögeln", hat sich dafür aber ausgerechnet die Freundin seines Bruders auserkoren. Das führt zu allerlei Verwicklungen und grotesken Situationen. Taddicken hat ohne Zweifel Talent und erfrischend unbekümmert geht er mit der heiklen Thematik um. Aber das richtige Maß hat er noch nicht gefunden, vor allem wenn sein überbordender Gestaltungswille die Figuren manchmal funktionalisiert und er einen Inzest als beste Lösung des "Problems" anbietet.
Herz über Kopf Hans-Christian Schmid, der den diesjährigen Hofer Filmpreis erhielt, schrieb zusammen mit Michael Gutmann das Drehbuch zu "Herz über Kopf" (Foto: Holger Twele)
Zwischen Rebellion und Anpassung
Authentischer, stimmiger und nicht minder spannend wirkt Herz über Kopf von Michael Gutmann, der das Drehbuch für seinen zweiten Langspielfilm zusammen mit Hans-Christian Schmid schrieb. Jakob, ein aus der Bahn geworfener Jugendlicher, hatte nach dem Tod der Mutter die Schule geschmissen und war vorübergehend zum Vater nach Berlin gezogen. Auf der Suche nach einem neuen Zuhause landet er bei seiner Schwester in der Nähe von Frankfurt, die selbst große Probleme hat, sich mit zwei Kindern und ohne Mann über Wasser zu halten. Jakob ist rebellisch und eckt überall sofort an, weil er mit seiner Meinung weder verbal noch körperlich zurückhalten kann. Als er sich in das polnische Aupair-Mädchen Wanda verliebt, die ausgerechnet im Haushalt seiner ehemaligen, verhassten Lehrerin tätig ist, werden beide vor die Wahl gestellt, welche Rolle sie in ihrem Leben spielen wollen, wo Anpassung erforderlich ist und wann es sich lohnt, für ein gemeinsames Ziel zu kämpfen. Ein sympathischer Film mit stimmigem Drehbuch und überzeugenden Darstellern, der seine Figuren ernst nimmt und die Balance hält zwischen komischen und tragischen Momenten, fast so wie im richtigen Leben.
3 Stern Rot (Foto: Holger Twele)
Zutaten für Träume (Foto: Holger Twele)
Deutsch-deutsche Befindlichkeiten
Gleich zwei Filme setzten sich mit deutsch-deutscher Geschichte auseinander. Olaf Kaiser wagt sich in
3 Stern Rot allzu halbherzig an einen Erklärungsversuch, den Schießbefehl an der Mauer in seinen gesellschaftlichen Zusammenhang zu stellen. Der Filmtitel bezieht sich auf eine Signalmunition, die von den DDR-Grenztruppen bei einem Fluchtversuch über den "antifaschistischen Schutzwall" abgeschossen wurde. Der als Lehrstück etwas verworrene Film erzählt die Lebensgeschichte eines ehemaligen Grenzsoldaten, der in die Psychiatrie eingeliefert wird. Stark vereinfacht werden die Grenzer als Opfer des Systems dargestellt, das aus ihnen willensschwache Angsthasen oder sadistische Opportunisten machte. – Gordian Maugg beschäftigt sich in
Zutaten für Träume mit der Frage, was zehn Jahre nach dem Mauerfall wohl aus Figuren wie der Möchtegern-Schlagersängerin in
Solo Sunny von Konrad Wolf geworden sein könnte. Auch in seinem Film spielt Renate Krössner die Hauptrolle, diesmal als verhinderte Meisterköchin, deren Freund in den 70er Jahren in den Westen abhaute und Karriere machte. Zehn Jahre nach der Wende fristet sie ihr Dasein immer noch am Gurkenfließband im Spreewald. Mit Hilfe eines schwulen polnischen Erntehelfers und eines bei der Bundeswehr dienenden Skinheads bekommt sie eine zweite Chance, ihr Können bei einem Kochwettbewerb zu beweisen. Die manchmal etwas holprig, doch immer liebenswert erzählte Emanzipationsgeschichte setzt deutliche Zeichen der Hoffnung und des gegenseitigen Verständnisses jenseits gängiger Denkschubladen.
Diskussionsrunde mit den vier anwesenden Filmemachern (v.l.n.r.): Peter Patzak, Peter Lilienthal, Robert Fischer (Diskussionsleitung), Leander Haußmann, Klaus Lemke (Foto: Holger Twele)
Denk ich an Deutschland
Statt der sonst üblichen Retrospektive präsentierten die Hofer Filmtage diesmal die zweite Staffel einer Reihe von Dokumentarfilmen, in denen die deutschen Filmemacher Fatih Akin, Leander Haußmann, Klaus Lemke, Peter Lilienthal und Peter Patzak sich ganz individuell auf Spurensuche über das eigene Land begaben. Die vom Bayerischen Rundfunk und dem WDR produzierte Reihe wird ab sofort bis Ende November im Fernsehen ausgestrahlt und war in Hof per Digitalprojektion auf der großen Leinwand zu sehen. Der wohl interessanteste und stringenteste Beitrag stammt vom türkischstämmigen, in Hamburg geborenen Filmemacher Fatih Akin, der Einblick in seine Familiengeschichte gibt und sehr lebendig veranschaulicht, wie sich kulturelle Identität bei der ersten Generation der "Gastarbeiter" aus der Türkei veränderte, warum fast alle seine Verwandten wieder in die Türkei zurückgekehrt sind und wieso er sich als Deutscher fühlt.
Innensichten, Außensichten und Absichten
Peter Patzak drehte seinen Beitrag vollkommen außerhalb des Landes mit Exildeutschen, die ihre Heimat in Süd- oder Nordamerika gefunden haben und über diese Außensicht und den direkten Vergleich mit einer anderen Kultur eine Menge über typisch deutsche Wesenszüge vermittelten. Peter Lilienthal trat für ein tolerantes und versöhnliches Miteinander zwischen (deutschen) Juden und (nichtjüdischen) Deutschen ein und zeigte am Beispiel von Eberswalde, wie sich Fremdenfeindlichkeit und Ausländerhass überwinden lassen. Leander Haußmann traf sich nach über 20 Jahren mit Freunden aus seiner als sehr glücklich erlebten Jugendzeit wieder, wendete sich gegen die Pauschalisierung als Stasi-Opfer und verdeutlichte, wie weit jugendliche Subkulturen seinerzeit auch in der DDR gediehen waren. Schade nur, dass Haußmann dem Stoff gegenüber noch zu wenig Distanz abgewann und die Erinnerungen manchmal in romantisch-redselige Klassentreffenmentalität abdrifteten. Trefflich streiten lässt sich schließlich über Klaus Lemkes aufgesetzt und gestellt wirkendes Panoptikum einer multikulturellen Gesellschaft in der Münchner Leopoldstraße, die offenbar nur aus schrägen bzw. extrovertierten Typen besteht.
www.hofer-filmtage.de
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006