Auf die so genannten "Magdalenen"-Heime in Irland, die es noch bis vor wenigen Jahren gab, ist hierzulande kaum jemand aufmerksam geworden. Eigentlich hätten Menschenrechtsorganisationen, Psychologen, Pädagogen und Feministinnen gegen Gewalt und Terror in diesen katholischen Anstalten für angeblich sündhafte Mädchen protestieren müssen. Das ist seltsamerweise nicht passiert. So konnten sie bis in die 1990er Jahre hinein wirken, das letzte schloss erst 1996. Der schottische Filmemacher Peter Mullan hat zumindest im Nachhinein bekannt gemacht, dass es sich bei den vermeintlichen Erziehungsheimen in Wirklichkeit um veritable Frauengefängnisse und Arbeitslager handelte, in denen das Leben von Willkür, Macht und Ohnmacht bestimmt war. Der Vatikan bestreitet zwar solche Zustände. Doch der in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Film beruht auf exakten Recherchen.
Bigotte irische Gesellschaft
Religiöse Frauen, die sich als "Sisters of Mercy" (barmherzige Schwestern) zusammenschlossen, gründeten den nach der biblischen Maria Magdalena benannten Orden im 19. Jahrhundert in Irland als Zuflucht für Prostituierte oder "gefallene Frauen". Doch erst die katholische Kirche, die Anfang des 20. Jahrhunderts die Heime übernahm, führte ein unmenschliches Regiment ein und stärkte ihren ohnehin immensen Einfluss auf die bigotte, prüde irische Gesellschaft. Vergewaltigungen und uneheliche Schwangerschaften galten als besonders schwere Vergehen, wurden aber nicht etwa den Tätern sexueller Gewalt, sondern deren als "gefallene Mädchen" gebrandmarkten Opfern angelastet. Schätzungsweise 30.000 junge Frauen ereilte das Schicksal, von ihren Familien oder den Waisenhäusern für "moralisch bedenklich" gehalten und ausgestoßen zu werden. Hinter unüberwindlichen Klostermauern mussten sie in einer Wäscherei ohne Lohn schuften und hungern.
Blinder Gehorsam
In Mullans Film verlangen die "Barmherzigen Schwestern", die den Orden leiten, blinden Gehorsam. Wer sich ihrem Willen widersetzt, wird geschlagen oder ausgepeitscht. Auch gönnen sie den Mädchen keine schulische Bildung, um sie gezielt dumm und in Abhängigkeit zu halten. Die jungen Frauen dürfen noch nicht einmal miteinander reden. Folglich leben sie in ständiger Angst und haben keine Chance, zu selbstständigen Menschen heranzureifen. Letztlich stehen sie vor den wenig erfreulichen Alternativen, im Heim verrückt zu werden, zu sterben oder sich wie die Nonnen den oftmals dogmatischen Kirchenmächtigen zu unterwerfen. Viele von ihnen werden schwer krank oder psychotisch.
Fluchtversuche
Trotz geringer Erfolgsaussichten versuchen etliche zu fliehen. Doch wehe, wer von Schwester Bridget erwischt wird. Die Oberin greift mit Schadenfreude zur spitzen Schere, um "Rebellinnen" den Schädel blutig zu rasieren. Damit ein Ausbruch überhaupt gelingen kann, muss sich eine Insassin soviel Selbstbewusstsein bewahren wie die tapfere Bernadette. Sie überzeugt am Ende sogar die ängstlichere Rose, sich die Freiheit gegen jegliche Widerstände zu erkämpfen.
Authentische Biografien
Mullan zeichnet vier authentische Lebensläufe und Schicksale in den 1960er Jahren nach. Margaret, Rose und Crispina kommen bereits traumatisiert ins Heim: Margaret wurde von einem Vetter vergewaltigt, Rose und Crispina mussten sich auf Wunsch ihrer Eltern gleich nach der Geburt von ihrem unehelichen Baby trennen. Bernadette, die einfach nur zu hübsch ist, um ein tugendhaftes Mädchen zu sein, wuchs in einem Waisenhaus auf.
Hass und Sadismus als Ausdruck seelischer Blessuren
Von der ersten Sequenz an vermittelt der Film eine bedrückende Atmosphäre und dokumentarische Echtheit. Meisterhaft vollzieht er nach, wie sich das Netz religiöser Fanatiker um die Mädchen zusammenzieht. Auf einer Hochzeit wird Margaret von ihrem Cousin unbemerkt in ein kleines Zimmer gelockt und missbraucht. Als die Vergewaltigte später leichenblass zu der Festgemeinde zurückkehrt, fixieren sie immer mehr Gäste mit spürbarem Ekel. Ihr Schicksal ist besiegelt. Schon bald ist Margaret schutzlos dem Hass und Sadismus der Nonnen ausgesetzt, die sich unbewusst für ihre eigenen seelischen Blessuren rächen. Das zeigt sich besonders drastisch in einer Szene, in der sich die Mädchen in einer Reihe nackt aufstellen müssen, während sie von zwei Nonnen taxiert werden, die sich über ihre Brüste und Genitalien mokieren.
Autoritärer Drill
Mullans drastische Bilder von den buchstäblichen Folterkammern schockieren und bewegen. In seiner berechtigten, radikalen Kritik an diesen Heimen und vergleichbaren, extrem autoritär geführten Erziehungsanstalten sind die
Unbarmherzigen Schwestern ein leidenschaftliches Plädoyer für Menschlichkeit. Wer glaubt, in Deutschland könne so etwas nicht passieren, mag sich zum Vergleich die beiden Filme
Mädchen in Uniform aus den Jahren 1931 und 1958 ansehen, die auf dem 1930 geschriebenen Theaterstück "Gestern und heute" von Christa Winsloe beruhen. In ihrem Stück prangert die gleichzeitige Drehbuchautorin der ersten Verfilmung altpreußische Adelsinternate mit ihrem starren Drill und ihrer militärischen Härte an. Wie die Nonnen in Mullans Film bevorzugen die strengen Lehrerinnen – mit Ausnahme des verständnisvollen, umschwärmten Fräulein von Bernburg – den Rohrstock und vermitteln keine sozialen Kompetenzen.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.01.2003