Das Interview führte Margret Köhler.
Regisseur Tomy Wigand (Mitte)
Wie kommt der Regisseur von Fußball ist unser Leben zur Kästneradaption Das fliegende Klassenzimmer?
Die Produzenten Uschi Reich und Peter Zenk fragten mich nach der Premiere des Films, ob ich bei
Das fliegende Klassenzimmer mitmachen wollte. Da habe ich ohne langes Zögern zugesagt. Erst später dachte ich an die großen Filmvorbilder und an Erich Kästner selbst. Ich bin in das Projekt hineingewachsen, habe sehr viel über und von Kästner gelesen und mich sehr stark mit seinen Gedichten befasst.
Auch mit der Kurt Hoffmann-Verfilmung aus dem Jahre 1954?
Den Film habe ich mehr als einmal gesehen, daran muss ich mich messen lassen. Schon als Kind beeindruckte mich die Geschichte wegen der Gefühlsstärke sehr. Ich erinnere mich, dass ich an der Wohnzimmertür stand und mit einem halben Auge Fernsehen geguckt habe, weil ich so bewegt war. Bei der Vorbereitung für diesen Film schwor ich mir, ebenfalls eine solche Emotionalität zu erreichen.
Was verbinden Sie mit Ihrer Schulzeit? Waren Sie auch im Internat?
Mit 15, 16 Jahren war ich eine Zeit lang in England im Internat. Da ging es darum, Englisch zu lernen und Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Auf der einen Seite fand ich das toll, weil ich auf mich alleine gestellt war und mich durchsetzen musste, auf der anderen sah ich mich erstmals mit Feindseligkeiten gegenüber Deutschen konfrontiert.
Würden Sie sagen, ein Internat sei eine positive Erfahrung für Kinder?
Das kommt auf den Charakter an. Wenn ich die Filmfiguren betrachte, beispielsweise den schmächtigen Uli, würde der wahrscheinlich leiden und einen Knacks kriegen, wenn er nur weich und ängstlich wäre. Aber ein Internat kann auch dazu beitragen, dass ein junger Mensch lernt, sich zu behaupten und spürt, dass er reagieren und Position beziehen muss, selbst wenn es Kritik oder noch Schlimmeres hagelt.
In Ihrem Film sind die Schülertypen "intern” und "extern” sehr unterschiedlich angelegt.
Die Thomaner sind nur scheinbar ein kleiner elitärer Haufen. Sie sind aus verschiedenen Landesteilen zusammengewürfelt, nicht weil die Eltern reich, sondern weil die Kinder begabt sind. Deshalb erhalten sie die Chance, teilweise mit Stipendien oder geringem Schulgeld in Leipzig zu lernen und sich ausbilden zu lassen. Bei den Externen spielt viel Neid mit, die machen sich lustig, weil die Thomaner in Matrosenanzügen herumlaufen. Das sieht nicht cool aus. Viel wird heute mit cool oder uncool abgetan, mit rein äußerlichen Attributen. Die Aufgabe von Eltern und Schule besteht darin, den Kindern eine differenziertere Sichtweise für das zukünftige Leben zu vermitteln. Korrigierend kann die Schule nur bedingt wirken, Kinder wiederholen das Verhalten, das sie zu Hause beobachten.
Manchmal wirkt die Thomaner-Schule mit ihrer musischen Erziehung wie eine Insel der Seligen.
Natürlich ist die musische Erziehung der Thomaner außergewöhnlich. Aber zunächst liegt es am Lehrer, den Schülern die schönen Künste schmackhaft zu machen, eine andere Saite in ihnen zum Klingen zu bringen.
Ist der Schulleiter Kreuzkamm sen. schon bei Erich Kästner so skurril angelegt?
Nein, wir wollten mit dieser Figur eine Leichtigkeit hineinbringen, was uns mit Piet Klocke hoffentlich gelungen ist. Er durfte nicht zum Klischee werden, deshalb macht er eine Wandlung durch. Vater und Sohn kommen sich näher. Die Skurrilität ist nicht mit einem Gelächter abzutun, sondern soll darauf hinweisen, dass man bei einem Menschen zwei Mal hingucken muss, bevor man ein endgültiges Urteil fällt. Das ist sehr kästnerianisch.
Haben Sie sich noch andere Pennäler-Filme zur Vorbereitung angeschaut?
Ich wollte keinen Schulfilm machen, sondern zeigen, wie es bei den Thomanern im Internat zugeht. Mir war es wichtiger, vor Ort zu recherchieren und den strengen Tagesablauf einige Zeit mitzumachen, um ihn filmisch ehrlich umzusetzen.
Dient der Rap als Heranführung an Erich Kästner?
Vielleicht ist Uschi Reich davon ausgegangen. Ich finde es toll, wenn Musik von Kindern und für Kinder im Film vorkommt. Besonders schön finde ich den Unterschied zwischen dem, was sie singen und dem Rhythmus. Die Kästner-Texte funktionieren gut mit dem Rap.
Was ist an Kästner heute noch aktuell?
Das fliegende Klassenzimmer ist kein Kinderfilm, sondern klassisches Family Entertainment. Kästners Botschaft ist heute noch so aktuell wie 1933, als er das Buch schrieb. Es geht doch um Grundsätzliches, um Zivilcourage und Moral. Die Frage heißt, stehe für jemanden ein, auch wenn ich dafür bestraft werde. Gerade heute hat Zivilcourage eine große Bedeutung. In unserer Welt wird gemordet, geschändet, gelogen, es gibt leider immer weniger Menschen, die für andere Menschen einstehen.
Geben Sie dafür einen kleinen Schubs?
Das ist meine heimliche Hoffnung. Vielleicht bewirkt die Geschichte einen winzigen oder auch größeren Impuls bei Kindern und möglicherweise auch bei den Eltern. Denn gerade bei denen fokussiert sich die Verantwortung. Es reicht nicht, von Zivilcourage zu reden, man muss sie vorleben, ganz einfach.