Hintergrund
Vietnamkrieg - Ursachen und Folgen
Für Jahrhunderte war China der traditionelle Feind Vietnams. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts tauchte mit der französischen Kolonialmacht ein neuer Feind auf, dem es mit militärischen Mitteln gelang, aus Vietnam, Kambodscha und Laos das französische Indochina zu machen.
Die Teilung in die drei Regionen Cochinchina, Annam und Tonkin werteten die Vietnamesen als Anschlag auf ihre nationale Identität. Dem vietnamesischen Widerstand begegneten die Franzosen mit einem Expeditionsheer und der öffentlichen Exekution der von ihnen so genannten Piraten. Dennoch begann Anfang des 20. Jahrhunderts eine Verwestlichung der vietnamesischen Eliten, die ihren Söhnen eine französische Bildung zukommen ließen. Unter ihnen war Ho Chi Minh, der sich als Nguyen Ai Quoc (Nguyen der Patriot) in Paris im Rahmen der Konferenz von Versailles erfolglos für die Unabhängigkeit Vietnams engagierte und 1920 Gründungsmitglied der französischen KP war. Nach dreißigjähriger Abwesenheit kehrte Ho Chi Minh 1941 nach Vietnam zurück, wo er als Gründer und Führer des Vietminh den Widerstand gegen Franzosen und Japaner organisierte. Anfang 1945 wütete in Vietnam eine Hungersnot, der zwei Millionen Vietnamesen zum Opfer fielen. Die Vietminh organisierten Überfälle auf Lebensmittellager – die Japaner horteten Reis, exportierten ihn zum Teil sogar – und sicherten sich so das Ansehen und den politischen Rückhalt in der ländlichen Bevölkerung, auf den sie sich bis zum Ende des Vietnamkrieges verlassen konnten.
Szene aus dem Film "Apocalypse Now Redux"
Die französische Niederlage
Als Japan am 2. September 1945 kapitulierte, riefen die Vietnamesen die „Demokratische Republik Vietnam“ aus. In Hanoi hielt Ho Chi Minh eine Rede, die beinahe im Wortlaut der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung folgte. Frankreich jedoch versuchte mit allen Mitteln, seine Kolonialherrschaft über Vietnam wieder herzustellen, schickte ein 160.000 Mann starkes Heer und installierte 1949 mit dem ehemaligen Kaiser Bao Dai einen Marionetten-Staatschef. Die französischen Truppen erwiesen sich bald als unterlegen, insbesondere seit die siegreichen chinesischen Kommunisten die Vietminh unterstützten. Unter den Vorzeichen des Kalten Krieges und der im Westen herrschenden Dominotheorie, nach der einem kommunistischen Vietnam bald Thailand, Kambodscha, Laos und Malaysia folgen würden, entsandte die amerikanische Regierung 1950 auf französisches Ersuchen erste Militärberater nach Saigon und leistete massive Finanzhilfe. Dennoch war mit der Schlacht von Diên Biên Phu am 7. Mai 1954 die französische Niederlage endgültig besiegelt. Im Juli desselben Jahres beschloss die Genfer Indochina-Konferenz zur Entflechtung der vietnamesischen Regierungstruppen und der Vietminh eine Demarkationslinie entlang des 17. Breitengrades. Binnen zwei Jahren sollten zudem gesamtvietnamesische Wahlen durchgeführt werden. Die Schlusserklärung wurde von den USA nicht unterzeichnet.
Der amerikanische Krieg
Die USA unterstützten Ngo Dinh Diem, der über ein manipuliertes Referendum einen eigenen südvietnamesischen Staat errichtet hatte. Seine Macht stützte sich auf Truppen und Polizeikräfte, die vormals unter den Franzosen gedient hatten. Die Eisenhower-Administration baute Südvietnam zu einem antikommunistischen Vorposten gegen das von der UdSSR unterstützte Nordvietnam aus. 1960 schmiedete die kommunistische Partei mit der „Nationalen Befreiungsfront von Süd-Vietnam“ (FNL) eine Koalition der südvietnamesischen Diem-Gegner, die von Diem und den Amerikanern als Vietcong bezeichnet wurde. Ende 1963 wurde Diem mit dem Einverständnis der USA von eigenen Offizieren gestürzt und ermordet. Dies war der Beginn des amerikanischen Krieges in Vietnam. Lyndon B. Johnson übernahm nach der Ermordung John F. Kennedys mit dem Präsidentenamt auch die Verpflichtung gegenüber der südvietnamesischen Regierung. Nach dem möglicherweise sogar vom CIA selbst inszenierten Zwischenfall im Golf von Tonking, bei dem zwei amerikanische Zerstörer von nordvietnamesischen Booten torpediert wurden, ließ sich Johnson vom Kongress eine vorgefertigte Generalvollmacht für den Einsatz amerikanischer Truppen geben und befahl erstmals die Bombardierung Nordvietnams. Die Amerikaner verstrickten sich in der Folge immer tiefer in diesen Krieg. Was mit einigen Militärberatern begann, endete zum Höhepunkt des amerikanischen Engagements mit über 500.000 amerikanischen Soldaten in Vietnam. Das militärische Vorgehen der USA in den Folgejahren – Flächenbombardements auf Nordvietnam, die Entvölkerung ganzer Landstriche zur Schaffung von so genannten Free Fire Zones, Napalm-Angriffe und schließlich der Einsatz des Agent Orange genannten Dioxins zur Entlaubung der Wälder – riefen in den USA und weltweit Massenproteste hervor. Mit der Tet-Offensive Anfang 1968 drang der Krieg aus den Reisfeldern und Wäldern Vietnams nicht nur in die Städte Südvietnams sondern über das Fernsehen auch in die amerikanischen Wohnzimmer. Die Bilder des südvietnamesischen Generals Luan, der seinen Revolver einem gefangenen Vietcong an den Kopf setzt und abdrückt, gingen um die Welt.
Szene aus dem Film "Apocalypse Now Redux"
Die "Vietnamisierung" des Krieges
Die amerikanischen Verluste erreichten 1969 mit 5000 gefallenen Soldaten ihren Höhepunkt. In der amerikanischen Bevölkerung wie auch in der neugewählten amerikanischen Regierung hatte sich längst die Überzeugung durchgesetzt, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei. Schließlich hatte das Versprechen, den Vietnamkrieg zu beenden, Präsident Nixon an die Macht gebracht. Der schrittweise Rückzug der US-Truppen stand unter dem Motto Vietnamisierung des Krieges und ging als Nixon-Doktrin in die Geschichte ein. 1970 war die Zahl der amerikanischen Opfer halbiert. 1972 sahen sich die südvietnamesischen Bodentruppen – auf sich allein gestellt – einer nordvietnamesischen Großoffensive gegenüber, die von der amerikanischen Luftwaffe mit massiven Napalm-Angriffen auf Nord- und Südvietnam gestoppt wurde. Als 1973 der letzte amerikanische Soldat Vietnam verlassen hatte und der Waffenstillstand erklärt worden war, sprachen sich in einer Meinungsumfrage 79 % der amerikanischen Bevölkerung gegen eine erneute Intervention der USA in Vietnam aus, selbst „wenn das kommunistische Nord-Vietnam in Süd-Vietnam einfallen und es annektieren würde“. Trotz des Waffenstillstandes setzten die Vietcong ihren Kampf fort. Im April hatten sie nach dem Zusammenbruch der südvietnamesischen Armee mit dem Einmarsch in Saigon ihr Ziel erreicht und der Vietnamkrieg war beendet. 1,1 Millionen Soldaten – 60.000 davon Amerikaner – und über 2 Millionen Zivilisten kamen im Verlauf des Krieges um. Die ca. 70 Millionen Liter hochgiftige Pestizide, 40 Millionen Liter davon Dioxin, hinterlassen bis heute ihre Spuren in der Nahrungskette, kontaminieren Böden und führen zu gesundheitlichen Folgeschäden.
Die Auswirkungen des Krieges
Der Protest gegen den Vietnamkrieg führte in den USA zwei Protestbewegungen der 50er Jahre zusammen: die Antinuklear-Bewegung und die Bürgerrechts-Bewegung, deren Ideen von Studentenbewegungen wie der SDS – Students for a Democratic Society – Anfang der 60er Jahre aufgegriffen wurden. Übertragen auf die jeweiligen nationalen Verhältnisse, verlief die Entwicklung des Protestes in allen europäischen Gesellschaften ähnlich. In der Bundesrepublik verband sich unter dem Eindruck des Vietnamkrieges der Protest gegen die Verdrängung der NS-Gräuel unter dem Deckmantel des Kalten Krieges mit der Friedensbewegung der Ostermarschierer. Die politischen Ereignisse und die wirtschaftliche Krise Mitte der 60er Jahre begünstigten zudem die Bildung der Außerparlamentarischen Opposition (APO), die vorrangig von der studentischen Protestbewegung getragen wurde und das amerikanische Vorgehen in Vietnam und der Dritten Welt als Imperialismus anprangerte. Das Jahr 1968 wurde zum Kristallisationspunkt verschiedener sozialer Bewegungen wie auch der Frauen- und Ökologiebewegung, die – weit über den Vietnamkrieg hinaus – eine dauerhafte Öffentlichkeit außerhalb staatlicher Institutionen geschaffen haben und den gesellschaftlichen Diskurs bis heute nachhaltig beeinflussen.
Autor/in: Margarete Häßel (punctum, Bonn), 20.11.2006